Zwitschi war verärgert. Wieso war er nur über Puhs Pantoffeln gefallen? Hatte sich die glücksbringende Wirkung seines Talismans etwa ins Gegenteil verkehrt? Zwitschi musste es unbedingt herausfinden. Aber wie? Vielleicht hatte sich sein Talisman ja pechschwarz verfärbt. Dann würde er ihn hinaus in den Garten bringen und im Springbrunnen versenken. Von dort aus würde er keinen Einfluss mehr auf Zwitschis Geschicke haben. Auf der Fensterbank musste es ja liegen, sein Eichelhütchen. Der kleine blaue Vogel hatte es vor drei Tagen ins Zwergenhaus geschleppt, weil er davon überzeugt war, dass dieses Eichelhütchen ein wahrer Glücksbringer für ihn war. Schließlich lag, als er es aufhob, ein schmackhafter Sonnenblumenkern darunter. Und seit das Eichelhütchen im Zwergenhaus lag, hatte Puh für ihn Nusskringel gebacken, ihm das lang ersehnte honiggelbe Schmucksteinchen auf den Schnabel geklebt und vom Boden das alte Märchenbuch geholt und ihm daraus vorgelesen. Auch bei Willy hatte das Eichelhütchen seine volle Kraft entfaltet. Zwitschi hatte den Kauz bei Mühle und Halma besiegt und ihm ohne Mühe seine Schnabelpolitur abgeluchst. Der Kauz hatte der Wirkung des Eichelhütchens nichts entgegenzusetzen gehabt, genau wie der Wichtel. Da war sich der kleine blaue Vogel sicher.
Und nun war Zwitschi über Puhs Hausschuhe gefallen, die er sonst schon aufgrund des starken Geruches, den sie üblicherweise verströmten, bemerkt hätte. Was war nur los mit seinem Talisman. Und überhaupt, wo steckte er? Zwitschi fand ihn nicht. Also das war es! Er war weg! Deshalb die Sache mit den Pantoffeln. „Verflixt und zugefedert, wo ist nur mein Eichelhütchen hin“, zwitscherte er aufgeregt und stieß mit dem Kopf gegen einen von Puhs Übertöpfen. „Welch ein Unglück. Es ist verschwunden! Ich bin verloren!“ Zwitschi setzte sich in den Sessel, der direkt neben dem Fenster stand, und verharrte dort regungslos. Der Sturz über Puhs Pantoffeln und die Beule, die ihm der Übertopf eingebracht hatte, waren ihm Beweis genug dafür, dass ein großes Unglück über ihn hereingebrochen war. Also beschloss er die Sache auszusitzen und keinen Flügel zu rühren, dann konnte ihm wenigstens nichts passieren. Da verlor die Pflanze in der Blumenampel über ihm ein großes welkes Blatt. Zwitschi schrie auf: „Hilfe! Hilfe!“ Puh stürmte von Panik geschüttelt in die Stube. Was war mit seinem blaugefiederten Mitbewohner passiert. „Zwitschi, was ist los!“, schrie er. Als er den zitternden kleinen Vogel unter dem Blatt vorfand, lächelte er. „Das ist doch nur ein welkes Blatt, deshalb musst du doch nicht so herumschreien.“ „Das ist nicht nur ein Blatt, das ist ein Zeichen. Mein Eichelhütchen ist verschwunden und ohne mein Eichelhütchen bricht das Unglück über mich herein.“ „Was für ein Eichelhütchen?“, erkundigte sich Puh. „Na, mein Eichelhütchen eben. Ich hab’s im Garten gefunden, darunter steckte ein köstlicher Sonnenblumenkern und da wusste ich plötzlich, dieses Eichelhütchen bringt mir Glück. Und deshalb hab’ ich’s mit ins Haus gebracht. Und jetzt ist es verschwunden und das Pech verfolgt mich.“ „Sei nicht albern.“ „Ich bin keineswegs albern. Zuerst bin ich über deine Hausschuhe gestolpert, dann habe ich mir den Kopf an einem deiner Übertöpfe gestoßen und jetzt wäre ich beinahe von dem welken Blatt hier erschlagen worden!“ Zwitschi war völlig durch den Wind. „Komm Zwitschi, wir frühstücken erst einmal, dann sieht die Welt schon besser aus.
Zögernd folgte der kleine Vogel dem Zwerg in die Küche. Als er die Nusskringel roch, fasste er wieder Mut. Hastig verdrückte er einen nach dem anderen, bis er sich verschluckte. Hustend und prustend flog er auf und ab. Puh klopfte ihm auf den Rücken. „Friss nicht so hastig“, lachte der Wichtel. „Ich fresse immer hastig, und wenn ich mein Eichelhütchen noch hätte, wäre nichts passiert.“ „Selbst wenn du es noch hättest, hättest du dich verschluckt, so gierig wie du alles hinuntergeschlungen hast“, meinte der Wichtel. Zwitschi schüttelte energisch den Kopf. Zwitschi, das ist doch lächerlich. Dein Glück kann doch nicht von einem Talisman abhängen. Du redest dir das alles nur ein. Bevor du dein Eichelhütchen hattest, warst du ja auch nicht ständig vom Pech verfolgt.“ „Das schon, aber wenn man seinen Glücksbringer verliert, wird man vom Pech verfolgt“, behauptete Zwitschi. „Du hast ihn nicht verloren. Willy hat ihn bestimmt weggeworfen, als er mir gestern Nachmittag beim Hausputz geholfen hat. Er murmelte etwas wie „komisches Eichelhütchen“ vor sich hin und hat dann etwas aus dem Fenster geworfen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass dieses Ding dein Glücksbringer ist“, meinte Puh. Zwitschi wurde weiß wie eine Wand. Er stürzte auf das angeklappte Küchenfenster zu und wollte hinüber zum Kauzennest fliegen und Willy zur Rede stellen. Doch es blieb beim wollen. Im Spalt eingekeilt blieb er stecken.
„Siehst du Puh, was hab’ ich dir gesagt, ich bin verloren ohne mein Eichelhütchen.“ „Du bist nur zu vollgefressen für mein Küchenfenster“, lachte der Wichtel und befreite ihn. „Aber ich muss mit Willy sprechen. Vielleicht weiß er noch, wo es zu Boden getrudelt ist.“ „Du kannst nicht mit ihm sprechen. Er ist seit gestern Abend bei PaulKauz zu Besuch.“ „Dann muss ich unbedingt zu Paul, und zwar sofort, koste es, was es wolle.“ „Sei doch vernünftig. Zwitschi, du glaubst ganz fest daran, dass du Pech hast und dann hast du auch Pech. Glaub doch lieber daran, dass du Glück hast und dann wirst du auch Glück haben.“ „Tut mir leid Puh, aber angesichts meiner Pechsträhne fällt mir der Glaube ans Glück etwas schwer Lass mich in den Garten. Vielleicht find’ ich mein Eichelhütchen ja ohne Willys Hilfe im Laubhaufen unter deinem Stubenfenster wieder.“ „Meinetwegen, aber ein bisschen abergläubisch bist du schon“, fandPuh. „Das bin ich nicht, ich bin realistisch. Ich analysiere kühl die Tatsachen und wenn ich sie dann auswerte, lässt das nur einen einzigen Schluss zu. Ohne mein Eichelhütchen kommt eine wahre Unglücksserie auf mich zu“, sagte Zwitschi und sah dem Wichtel fest in die Augen. Puh schüttelte ungläubig den Kopf und ließ den kleinen Vogel zur Tür hinaus.
Als der Zwerg wenig später das Geschirr abwusch, hörte er es draußen schreien. „Verflixt und zugefedert, ich hab’ doch gewusst, dass ich Pech habe!“ Puh lief in den Garten und fand seinen Vogelfreund inmitten des Laubhaufens wieder. Zwitschi hatte ihn umgewühlt und war mit dem Schnabel auf mehrere Kastanienigel gestoßen. So langsam glaubte auch Puh an Zwitschis Pechsträhne. Aber hatte die wirklich mit so einem winzig kleinen Eichelhütchen zu tun? Egal. Der Zwerg versuchte Zwitschi bei der Suche nach seinem Talisman zu helfen. Aber auch er konnte das Eichelhütchen nicht finden. „Ich muss zu Paul“, sagte Zwitschi und verschwand. Besorgt blickte der Wichtel dem kleinen blauen Vogel hinterher.
Auf dem Weg zu Pauls Nest verirrte sich eine Fliege in Zwitschis Schnabel. Das stufte er allerdings nicht als weiteres Unglück seiner Unglücksserie ein, sondern als unerwarteten Glücksfall. Oder hatte ihm vielleicht sogar Puh die Fliege in den Schnabel gezaubert, damit er sich besser fühlte? Doch als er Pauls Nest erreicht hatte, ereilte ihn schon das nächste Malheur. Paul und Willy waren ausgeflogen. Blieb ihm heute denn gar nichts erspart? Doch halt! Da stand ja eine gemütliche Bank zwischen drei herrlich duftenden Tannen. Sie sah sehr einladend aus. Und sicherlich hätte sie Zwitschi auch eingeladen, wenn sie nicht gerade von Wuschel frisch gestrichen worden wäre. Zwar hatte der kleine Kobold ein großes Warnschild aufgestellt, auf dem „Frisch gestrichen“ deutlich zu lesen war. Aber wir kennen ja Zwitschis Pechsträhne und die frisch gestrichene Bank gliederte sich nahtlos in die Kette der Unglücksfälle ein. Der Vogel ließ sich auf die Bank fallen und hielt ein kleines Schläfchen. Die Ereignisse des Tages hatten ihn sehr ermüdet.
„Oh nein, da sitzt ja Zwitschi!“, rief Paul und schlug aufgeregt mit den Flügeln. „Zwitschi, heb deinen dicken Hintern sofort hoch, die Bank ist frisch gestrichen!“, schrie Willy. Zwitschi wurde aus seinem sanften Schlummer gerissen. Er versuchte sich von der Bank zu erheben. Es war zwecklos. „Das hat mir heute gerade noch gefehlt“, fauchte der kleine Vogel wütend. „Dann ist es ja gut“, schmunzelte Paul Kauz, „ich dachte schon, es könnte dich stören, dass du an der Bank anklebst.“ „Lass diese dummen Scherze und tu was!“, schrie Zwitschi verzweifelt. „Ich glaube, wir können dir nicht helfen“, meinte Willy Kauz, nachdem er die Lage gepeilt hatte. „Zuerst stürzt du mich ins Unglück und dann kannst du mir nicht helfen. Ein schöner Freund bist du, Willy“, jammerte der kleine blaue Vogel. „Moment mal, was kann ich denn dafür, wenn du das Warnschild nicht beachtest“, war Willy sichtlich ungehalten. „Wenn du mein Eichelhütchen nicht weggeworfen hättest, wäre mir das Schild garantiert aufgefallen“, raunzte ihn der kleine Vogel an. „Und was hat irgend so ein Eichelhütchen nun wieder mit deiner Schusseligkeit zu tun?“, fragte Willy verständnislos. „Das war nicht irgend so ein Eichelhütchen. Das war mein Glücksbringer! Und seit er weg ist, bin ich vom Pech verfolgt“, beklagte sich der Vogel. „So ein Unsinn“, entgegnete Willy und sah Zwitschi schräg von der Seite an. „Versuch bloß nicht dich da herauszuwinden. Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen keinen-Talisman-mehr-haben und hier-festkleben-müssen“, behauptete Zwitschi und löste bei Willy heftiges Kopfschütteln aus. Da ergriff Paul Partei für den kleinen Vogel: „ich glaube, ich kann die Zusammenhänge auch erkennen. Und eins verspreche ich dir, sobald wir deine Befreiung organisiert haben, schenke ich dir einen von meinen Glücksbringern. Ich habe so viele in meinem Nest, so viel Glück kann ich gar nicht brauchen“, sagte er und zu Willy gewandt: „Fliege schnell zu Puh, der soll Zwitschi mit Hilfe seiner Zauberkraft befreien.“ „Das mach ich, aber sag mal, was erzählst du denn da ...“, flüsterte Willy ihm ins Ohr. Von Zwitschi unbemerkt bedeutete Paul Willy nicht weiterzufragen. Auch Paul glaubte nicht an Glücksbringer, genau wie sein Kauzenfreund, aber er spürte, dass Zwitschi ganz fest daran glaubte. Und was war schon dabei?
Als Willy an die Tür des Zwergenhauses klopfte, fragte Puh entsetzt: „Was ist mit Zwitschi?“ „Unser kleiner Pechvogel klebt an der Bank unter Pauls Nest fest“, erwiderte der Kauz. „Oh nein“, seufzte Puh und blickte verloren in den Garten hinaus. „Worauf wartest du noch? Jetzt hol schon deinen Zauberstab und befreie ihn“, drängelte Willy voller Ungeduld. Er hatte das Gefühl, dass Puh von Zwitschis Unglück aus der Bahn geworfen worden war und vor lauter Schreck nicht so recht wusste, was er tun sollte. „Ach ja, du hast ja Recht! Warte kurz, ich hole den Zauberstab“, sagte der Wichtel und schwang sich, nachdem er durch drei beherzte Kniffe in seine Nase, Fluggröße erreicht hatte, auf Willys Rücken und kuschelte sich in dessen weiche Federn. Auf dem Flug erzählte Puh dem Kauz von Zwitschis Unglücksserie und Willy begriff, dass Zwitschi Pauls Glücksbringer unbedingt nötig hatte. Nur dem Wichtel sagte er nichts davon.
„Hier bin ich Zwitschi. Deiner Rettung steht nun nichts mehr im Wege“, verkündete Puh. Dann verließ er Willys Rücken, kniff sich drei Mal in die Ohren und erreichte wieder Zwergengröße. „Du brauchst dich gar nicht erst zu bemühen. Das klappt an einem Tag wie diesen sowieso nicht“, war Zwitschi sichtlich zerknirscht. „Warte doch erst einmal ab“, versuchte Puh ihn ein bisschen aufzubauen. Elegant Schwang er dann den Zauberstab über dem Vogel:
Zwergenbart und Kuckucksei
Der Zwitschi ist jetzt wieder frei
Zwitschi glaubte kein Stück an die Wirkung dieses unsinnigen Spruches. Er versuchte sich auch nur deshalb zu erheben, weil er beweisen wollte, dass Puh ihn nicht befreit hatte und dass nicht nur das Pech, sondern auch eine ganze Bank an ihm klebte. Wider Erwartens hatte der Spruch aber seine Wirkung getan und Zwitschi konnte seinen angestammten Platz verlassen. Nur die grüne Farbe verunzierte noch seine Schwanzfedern. Aber darum konnte er sich nachher gleich in der Zwergenbadewanne kümmern. Vielleicht fiel die Farbe ja auch von selbst ab, wenn er, ja wenn er erst den versprochenen neuen Glücksbringer von Paul Kauz bekommen würde.
„So und hier ist ein neues Eichelhütchen für dich. Es wird dir ganz viel Glück bringen“, strahlte Paul und das Eichelhütchen wanderte von seinem Schnabel in Zwitschis Schnabel. Der kleine blaue Vogel strahlte und seine Augen blitzten vor Freude. Dass die Farbe nicht von ihm abfiel, erklärte er sich damit, dass sein neues Eichelhütchen ihm ein glückbringendes Erlebnis im Badeschaum nicht verwehren wollte. „Was soll denn das bedeuten?“, erkundigte sich Puh, nachdem er das Schauspiel interessiert beobachtet hatte. Paul Kauz schwieg eisern und schaute hilfesuchend zu Willy hinüber. „Ach sieh mal hier Puh, dieser Zapfen, stammt der eigentlich von einer Fichte oder von einer Kiefer?“, schaltete der Kauz schnell und zupfte Puh am Ärmel. Der Wichtel verstand und folgte ihm. Mit wichtigtuerischer Miene verkündete er: „Ganz falsch, mein lieber Willy, hierbei handelt es sich ganz eindeutig um einen Tannenzapfen.“ „Alter Besserwisser“, brummelte Willy beleidigt. „Schon gut, schon gut, ich weiß. Beinahe hätte ich es vermasselt und Zwitschi wäre in seiner eingebildeten Pechsträhne gefangen geblieben.“ Willy nickte. Paul war zu ihnen gekommen. „Puh, wenn du schon einmal hier bist, darf ich dich zu einem Glas Kirschsaft einladen?“ Puh war einverstanden. Ein Glas Kirschsaft war jetzt genau das Richtige für seine angekratzten Nerven. Er ließ sich von Willy hinauf in Pauls Nest fliegen und die Drei verbrachten einen lustigen Abend zusammen. Und wo war der kleine blaue Vogel? Der scherte sich nicht um Kirschsaft. Für ihn gab es Wichtigeres. Zwitschi hatte sich längst mit seinem Eichelhütchen aus dem Staub gemacht. Er versteckte es unter dem Kopfkissen in seinem Schlafkörbchen. Dort konnte es ihm nicht so schnell abhanden kommen und das Glück würde ihm ab jetzt treu zur Seite stehen.