Zauberzwitschi

Als Puh schon unter seiner kuscheligen grüngepunkteten Bettdecke steckte, tollte Zwitschi noch immer munter durchs Zwergenhaus und spielte mit den Socken des Wichtels. „Zwitschi“, schimpfte er, „lass meine Socken liegen, sonst kann ich sie morgen wieder überall suchen!“ „Du hast sie doch bis jetzt auch immer gefunden. Ach lass sie mich verstecken, mir ist langweilig.“ „Schlaf jetzt endlich und gib Ruhe, verflixt und zugewichtelt noch mal." "Ach komm schon Puh, ich bin gerade so schön dabei dich ein wenig zu unterhalten." "Ich verzichte! Ich will nicht unterhalten werden! Ich will schlafen! Und falls du glaubst, mich glücklich zu machen, wenn du meine Socken in den Topf mit Schokoladenpudding tust, irrst du dich.“ „Entschuldige, das war ein Versehen. Glaube mir, das nächste Mal stecke ich sie wieder in die Schüssel mit Erdbeerquark.“ „Zwitschi“, knurrte Puh. „Ist ja schon gut, es war ein Scherz, ich meine natürlich in die Tiefkühltruhe zum Waldfrucht-Eis.“ Aber dabei gluckste Zwitschi belustigt vor sich hin und Puh wusste, dass der Vogel heute etwas albern war und deshalb sparte er sich alle weiteren Worte. Schließlich war er müde und wollte endlich schlafen. Der kleine Vogel hingegen dachte mit keiner Feder ans Schlafkörbchen und flatterte um Puhs Nase herum. „gib Ruhe!“, schrie Puh so laut, dass Zwitschi vor lauter Schreck ins Zwergenbett fiel. „Lass - mich - schlafen“, sagte Puh sehr langsam. Unser kleiner Vogelfreund spürte die schlechte Stimmung und verzog sich vorsichtshalber in die Küche. Da stand ja noch eine Schale mit Obst auf dem Tisch. „Selber schuld, wenn du sie nicht wegräumst“, freute er sich und kugelte einen Apfel zu Boden, den er mit den kleinen Füßen und dem Schnabel durchs ganze Zwergenhaus rollen ließ. Doch trotz Zwitschis Fußballspiel mit dem Apfel, das er laut zwitschernd kommentierte, schlief Puh bald friedlich ein. Er hatte ja auch den ganzen Tag seine Schränke geputzt, Geschirr poliert und seine Pflanzen umgetopft. Der kleine Vogel hingegen hatte nichts mit sich anzufangen gewusst und war deshalb noch dementsprechend munter. Als er aber merkte, dass der Zwerg, trotz seiner Bemühungen ihn wach zu halten, genüsslich schnarchte, sann er auf eine andere Beschäftigung. Er schnappte sich den Zauberstab des Wichtels, der auf dem Nachtschränkchen lag, und flog damit hinaus in die Nacht.

„Guten Abend Willy“, rief Zwitschi quietschvergnügt, als er seinen gefiederten Ffreund sah, der auf einen Ast der Kastanie saß und staunend den Mond beobachtete. Diese alte Himmelslaterne, In den letzten Tagen wurde sie wieder einmal rundlicher. Konnte sie sich nicht endlich entscheiden, ob sie nun dick oder dünn sein mochte, dachte der Kauz und wandte sich dann Zwitschi zu. „Guten Abend Zwitschi, bist du etwa noch nicht im Schlafkorb?“, fragte Willy verwundert. „Wer denkt denn schon ans Schlafengehen! Wenn du wüsstest, was ich hier habe, würdest du auch nicht an deinen Bettzipfel denken“, erwiderte der Vogel geheimnisvoll. „Zwitschi, was ist es?“, fragte der Kauz, dem Übles schwante. „Das sag' ich nicht, ich zeig es dir aber, wenn du mich mit in dein Nest nimmst.“ „Bei deiner Geheimniskrämerei stellen sich mir alle Federn auf“, sagte Willy. „Lass die Federn ruhig liegen. So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Nur Puh sollte besser nichts davon erfahren“, versuchte Zwitschi seinen Freund zu beruhigen. Willy mochte den kleinen blauen Vogel gern, aber dass der etwas hinter Puhs Rücken tat, schmeckte ihm gar nicht. Dennoch bat er den Vogel herauf, vielleicht war es ja eine Überraschung für den Wichtel. Man konnte ja nicht wissen. Doch als Zwitschi auf der Kastanie vor Willys Nest saß, entdeckte der Kauz Puhs Zauberstab in seinem Schnabel. Der Vogel hatte Willys schlimmste Vorahnungen weit übertroffen. „Zwitschi, bring den sofort wieder zurück“, flehte der Kauz, „du und der Zauberstab, das macht mir Angst.“ „Ach komm schon Willy. Gönn mir doch den Spaß. Vielleicht steckt in meinem Federkleid ein großer Zauberer - der magische Zwitschi sozusagen. Lass es mich doch mal probieren.“ „Probieren? Du kannst doch nicht ...“, jammerte der Kauz. „Und ob ich kann, pass mal auf!“ Willymerkte, dass er gegen Zwitschis Dickkopf nichts ausrichten konnte. Bei Puh wollte er den kleinen Vogel aber auch nicht verpetzen. Deshalb schlug er vor: "Also gut, komm mit in mein Nest. Dort versuchst du, ob du ein magischer Zwitschi bist. Aber nur mit einem einzigen Zauberspruch. Und dann bringst du den Stab sofort zurück ins Zwergenhaus!“ Zwitschi nickte. Der Kauz hoffte mit dieser Abmachung großes Unglück vom Zauberwald abwenden zu können. Wer wusste schon, was der Vogel anstellte, wenn er ihn mit dem Zauberstab allein herumflattern ließ. Im Kauzennest setzten sie sich an den Küchentisch. „Ich zaubere uns am besten zwei große Tassen süßen Kakao“, schlug der kleine Vogel vor und Willy war überrascht. So einen köstlichen Vorschlag hatte er seinem Freund nicht zugetraut. Zwitschi schwang den Zauberstab zwischen seinen Füßen:

„Kakao komm zu uns ins Nest
Wehe, wenn du uns warten lässt!“

Es funktionierte nicht. „Du bist eben kein magischer Zwitschi. Bring den Zauberstab zurück, wie es abgemacht war und wir vergessen die ganze Sache", meinte Willy. „Und ich bin doch ein großer Zauberer, wart's ab!“, sagte Zwitschi trotzig. „Schluss jetzt, bevor noch ein Unglück passiert“, forderte der Kauz vehement.„Wie schwierig kann die Zauberei schon sein. Am besten, ich probier' es gleich noch mal mit einem anderen Spruch“, Zwitschi war stur. „Nein, hab' ich gesagt“, Willy wurde laut. Aber Zwitschi hörte nicht, obwohl Willy einwarf, dass nur ein Zauberspruch vereinbart war.

„In warme Milch tu Kakao hinein
Und bring's ins Kauzennest ganz fein!“

Es passierte wieder nichts. Willy bat Zwitschi nun noch einmal, den Zauberstab endlich ins Zwergenhaus zurückzubringen. Doch der Vogel ließ sich nicht beirren. „Ich werde doch wohl zaubern können!“, rief er. „Die Zauberei ist eine schwierige Sache. Überleg doch mal, selbst bei Puh geht ab und zu mal etwas schief. Ich bitte dich, lass es sein. Bringe Puh den Stab zurück, wie wir es abgemacht hatten.“, sagte Willy. "Ach Puh, der ist doch kein Maßstab für magische Zwitschis", brüstete sich der Vogel. "Verflixt und zugefedert, kapier es endlich, du bist kein magischer Zwitschi!", schrie Willy verzweifelt. „Willy sei gefälligst still - weil ich dich nicht mehr hören will“, murmelte Zwitschi verdrießlich. Doch dabei hatte er den Zauberstab geschwungen. Und wider Erwartens war Willy still - sehr still sogar. Kein Laut kam mehr aus seinem Schnabel. Der kleine Vogel machte sich schreckliche Vorwürfe. Er wollte alles wieder in Ordnung bringen und Puh dann den Stab zurückgeben. Doch je mehr er probierte, um so schlimmer wurde es. Zuerst fielen Willy die Federn aus. Dann konnte er sich nicht mehr bewegen und zum Schluss verwandelte Zwitschi den armen Kauz in eine stumme versteinerte Kröte.

In seiner Verzweiflung flog er zum offenen Fenster hinein ins Zwergenhaus. Vielleicht fand er ja in einem von Puhs Zauberbüchern einen guten Spruch. Doch dabei stieß er mit dem Zauberstab an einen Wasserkrug und der Wichtel erwachte. Zielsicher fand er den Schalter und knipste seine Nachttischlampe an. „Hallo Zwitschi, schläfst du etwa immer noch nicht? Und was ist denn das? Du hast ja meinen Zauberstab!“ „Der ist gerade runtergefallen und ich wollte ihn aufheben“, log der Vogel. „Und warum wird dein Kopf dabei so rot wie meine Tomaten?“, fragte der Zwerg. „Weil ich geschwindelt habe. Ich habe dir den Stab nämlich vorhin gemopst und wollte für mich und Willy Kakao zaubern. Und jetzt gibt es keinen Willy mehr. Das heißt, es gibt ihn schon noch, allerdings ist er irgendwie kleiner und grüner als sonst.“ „Was sagst du da?“, Puh glaubte sich verhört zu haben, „Na, ja äh nun, er sieht irgendwie komisch aus und hat auch Warzen. Im Übrigen können wir froh sein, dass er sich nicht bewegen kann. Sonst wäre er bestimmt schon in den Springbrunnen gehopst.“ „Zwitschi! Hat Willy dir gesagt, dass du mich holen sollst? Oder ist dir das wenigstens selbst eingefallen!“ „Er hätte es mir sicherlich gesagt, wenn er noch reden könnte.“ „Was?“, Puh fuhr der Schreck bis in die große Zehe. „Noch mal langsam Zwitschi und ohne Umschweife. Was ist mit Willy?“ „Kröte“, nuschelte Zwitschi geknickt, „er ist eine dicke, hässliche, versteinerte stumme Kröte.“ Puh hielt jetzt nichts mehr im Bett. Er schwang sich aus den Federn, schnappte eines seiner Zauberbücher und riss seinen Zauberstab an sich. Dann kniff er sich drei Mal in die Nase, so dass er auf Fluggröße schrumpfte und forderte Zwitschi auf ihn schleunigst zum Kauzennest zu fliegen. Das tat der kleine Vogel gern. Inzwischen fühlte er sich richtig schlecht. Zuerst hatte er den Stab gestohlen, dann hatte er Willy verkrötet und zum Schluss auch noch Puh belogen. Was war nur in ihn gefahren? Und Puh, der liebe Wichtel, hatte mit keiner Silbe geschimpft. Als die beiden bei Willy angekommen waren, ging alles recht schnell, denn der Zwerg fand schon nach kurzem Blättern in seinem Zauberbuch den rettenden Spruch, der Zwitschis Krötenzauber aufheben konnte:

„Kröte weg und Willy her
Oh das wünsch ich mir so sehr!“

Und tatsächlich stand der Kauz wieder vor ihnen. Und er fühlte sich frisch und munter - sogar so munter, dass er Zwitschi gehörig die Meinung geigte. Doch als der Vogel vor Angst und Scham sein Köpfchen einzog, ließ es Willy gut sein. Dann zauberte Puh für alle drei einen süßen Kakao. „Zugabe“, forderte Zwitschi, der nicht genug bekommen konnte. „Kein Problem, von mir bekommst du als Zugabe einmal Unkraut zupfen in all meinen Blumenbeeten. Wie findest du das?“, fragte Puh. „Ach nö, darauf kann ich verzichten. Das ist wirklich nicht nötig.“ „Ich hab' auch noch was für dich“, schaltete sich Willy ein. „Was denn?“, fragte der Vogel gespannt. „Du kannst meine Fenster putzen“, sagte der Kauz. „Abgelehnt“, protestierte Zwitschi. „Zwitschi“, sagte Puh streng. Der kleine Vogel verstand. Die Strafarbeiten waren noch sehr gering. Wer weiß, was den beiden noch alles einfiel, wenn er sich weiterhin weigerte. „ich mach's“, sagte er schließlich, „aber nicht gern.“ Das war Puh egal. Hauptsache Zwitschi war beschäftigt, da konnte er wenigstens nicht so viel Unsinn ausbrüten. „Zumindest in nächster Zeit nicht“, dachte Puh, „aber dann?“ Den Zauberstab verstaute der Zwerg lieber an einem ganz geheimen Ort, obwohl der neugierige Vogel versprochen hatte, ihn nie wieder zu benutzen. Aber so recht traute Puh dem Frieden nicht.