Sofort war Puhs Hochstimmung wieder ganz tief in den Keller geplumpst. Der Wichtel ließ sich auf einen Stuhl fallen, stützte das Kinn in beide Hände und schloss die Augen. „Mein Usambaraveilchen ist vertrocknet“, begann er, „mein Alpenveilchen hat nur 6 große Blätter und eine einzige Knospe, meine Anthurie ist abgeblüht, meine Drehfrucht von Läusen befallen …“ „Und dein Einblatt macht seinem Namen inzwischen alle Ehre“, ergänzte Zwitschi hilfsbereit. „Mit keiner meiner Pflanzen ist ein Blumentopf zu gewinnen und der goldene schon gar nicht“, seufzte der Wichtel. Dann schoss er plötzlich hoch. In seinem Schlafzimmer gab es ja noch etwas: „Die Azalee!“, rief er. „Halt, halt“, stoppte ihn der Vogel, „die Azalee hab ich von deinem Koboldfreund Wuschel geschenkt bekommen und sie selber versorgt, die vielen Knospen verdankt sie meiner liebevollen Pflege.“ „Stimmt ja“, sagte Puh resigniert und ließ sich wieder auf den Stuhl zurückfallen. „Vielleicht hätte ich das Buch: „50 tolle Tipps für Zimmerpflanzen-Freunde“ lesen sollen, das ihr mir zum Geburtstag geschenkt habt.“ „Du hast es nicht gelesen?“, war Zwitschi verblüfft. „Na ja“, wurde Puh kleinlaut, „es passte so schön unter die Wäschekommode in meinem Schlafzimmer, du weißt schon, die hat immer so wacklig dagestanden, dass ich Angst hatte, sie fällt um, wenn ich mir ein frisches Paar Socken nehme …“ „Das erklärt so einiges, vor allem den neuen frischen Duft aus deinen Hausschuhen“, lachte Zwitschi und verschwand durchs offene Küchenfenster. Er musste unbedingt in Erfahrung bringen, was die Konkurrenz so zu bieten hatte. Seine Azalee war ein absoluter Traum. Sie war voller frischer Knospen, die in drei oder vier Tagen in rosarot erblühen würden. Nun galt es die Siegchancen auszuloten, ach ja und den anderen Zauberwaldbewohnern „50 tolle Tipps für Zimmerpflanzen-Freunde“ als Vorschlag für Puhs Weihnachtsgeschenk schmackhaft zu machen.
„Welche Blamage! Sogar Zwitschi hat eine vorzeigbare Pflanze für den Wettbewerb“, sagte Puh zu sich selbst und sah hinter sich aufs Regal. Da stand ja noch die Amaryllis. Er stand auf, nahm sie herunter und untersuchte sie eingehend. Eine schöne dicke Zwiebel steckte im Topf. Aus ihr waren 4 Blätter herausgewachsen. Aber sonst tat sich nichts. „Zauberhafte Blütenpracht, da kommt mir doch eine Idee. Am besten, ich helfe mit einem Blütenzauber ein wenig nach. Wir werden sehen, wer die zauberhafteste Pflanze hat.“ Und damit begann er angestrengt in einem seiner Zauberbücher zu wühlen. Hier, das könnte funktionieren. Und damit stellte er die Amaryllis vor sich auf den Küchentisch und begann sie zu bezaubern.
Drei Tropfen Wasser auf die Erde
Damit ein frischer Stängel werde
Der wachse grade in die Höhe
Schon bald ich dran vier Knospen sehe
Und seh ich froh beim Wachsen zu
Dann Blühn sie auf in einem Nu
Und damit träufelte er mit einer Pipette drei Tropfen Wasser auf die Erde. Der Zauber begann. Ein frischer Trieb schob sich langsam empor. Millimeter für Millimeter. Nach einer geschlagenen Stunde war er schon 30 cm hoch und begann sich an der Spitze in vier Knospen zu teilen. Da flog die Tür auf: „Hallo Puh, wollte nur mal eben sehen, mit welcher Pflanze du am Wettbewerb teilnimmst“, rief Luzie, das kleine Wichtelfräulein, aufgeregt und rannte freudestrahlend in die Küche. Ein flüchtiger Kuss landete auf Puhs Nasenspitze. Dann ließ sie ihre Augen durch das Zimmer schweifen. Puh war total verdattert. Vor Staunen stand ihm der Mund offen. Verzweifelt versuchte er sich zwischen Luzie und die Zauberamaryllis zu stellen. Aber es war schon zu spät. Luzie hatte das blühende Wunder bereits entdeckt. „Das gibt's doch nicht“, stammelte sie und starrte auf die 4 Knospen, die sich zusehends immer weiter öffneten. Puh war ertappt. Die Schamesröte schoss ihm ins Gesicht. „Du schummelst ja“, war Luzie entrüstet, „mein Puh - ein Schummler. Der Wettbewerb heißt „zauberhafte Blütenpracht“ und nicht „magischer Blütenzauber“.“ Und damit machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte aus dem Haus. „Aber Luzie, lass dir doch erklären …“, versuchte es Puh, doch Luzie wollte ihm nicht zuhören, die Beweise waren eindeutig und bedurften keiner weiteren Erklärung mehr.
„Da hast du ja was Schönes angerichtet. Da kehrt man dir einmal die Schwanzfeder zu und dann das“, piepste es unvermittelt. Wie schaffte es Zwitschi nur, immer im ungünstigsten Moment hereinzuschneien? „Weiß schon“, brummelte Puh, „Luzie hat das gerade ebenfalls zart anklingen lassen!“ „Aber schön sieht sie aus, deine Zauberpflanze, das muss ich dir lassen“, gab Zwitschi zu. Ja, sie war wirklich herrlich erblüht, die Amaryllis. Sie hatte vier beinahe untertassengroße Blüten in rot-weiß. Ein absolutes Prachtexemplar, nur leider nicht natürlich gewachsen. „Jetzt hab ich auch noch Ärger mit Luzie“, seufzte Puh. „Ist nicht dein Tag“, sagte Zwitschi und ließ ein Kirschpärchen vor Puh auf den Tisch fallen. „Danke“, lächelte der Wichtel und steckte eine der Kirschen in den Mund. „Sauerkirschen“, knurrte er und verzog das Gesicht. „Ich dachte, die passen perfekt zu deiner Stimmung“, lachte Zwitschi. „Das tun ein paar ausgerissene blaue Federn auch“, fauchte Puh und verputzte die zweite Kirsche. Der kleine Vogel hatte die Gefahrenzone längst verlassen. Jetzt galt es, seinen Kauzenfreund Willy davon zu unterrichten, dass Puh von Luzie beim Schummeln ertappt worden war. Vielleicht gesellte sich Paul Kauz noch zu ihnen und sie konnten mal wieder ein Stündchen den Zauberwaldklatsch durchkauen. Und dazu noch ein Gläschen Himbeerlimonade. Was konnte schöner sein?
Puh war weit von jedem Gedanken an Himbeerlimonade entfernt. Luzie war wütend davongelaufen, weil er sie tief enttäuscht hatte. Der Wichtel fasste nun einen Plan. Mit dem Wettbewerb würde es nichts mehr werden. Er konnte unmöglich mit der Zauber-Amaryllis aufkreuzen. Aber mit Luzie musste er sich unbedingt wieder vertragen. Und so ging er ins Schlafzimmer und öffnete seine Kommode - die, die jetzt nicht mehr wackelte - und holte Seidenstoff in rosa, pink und creme heraus. Dann schnappte er sich eine Schere, Nadeln und Garn. Er setzte sich an den Küchentisch und bastelte 15 Seidenrosen, 5 von jeder Farbe. Im Garten fand er ein paar große Blätter und anderes Grün. Alles zusammen arrangierte er in einem kleinen Körbchen, dekorierte es mit einer cremefarbenen Schleife, sprühte Silberglitzer auf die Rosenblüten und die schleife und war mit sich und der Welt zufrieden. „Ich werde auf jeden Fall zum Wettbewerb gehen und mir anschauen, welche Pflanzen die anderen vorstellen. Dann werde ich dem Sieger gratulieren und Luzie suchen, um ihr mein Versöhnungsgeschenk zu überreichen. Und wenn Luzie gewinnt, mache ich gleich beides auf einmal. Hoffentlich ist sie dann nicht mehr sauer auf mich. Von sauer hab ich für die Nächste Zeit genug. Und damit spuckte er die beiden Kirschkerne in den Garten.
Zehn Tage später. Auf der Waldwiese war alles für den Wettbewerb vorbereitet. Die Blumentöpfe waren in Handwagen und Körben angekommen und standen jetzt auf einem langen gescheuerten Tisch vor der Schmetterlingsjury. Jeder Teilnehmer hatte eine Startnummer, die ebenfalls auf seinem Übertopf klebte. Die Zimmergärtner waren total aufgeregt und plapperten wild durcheinander. Zwitschis Azalee sah traumhaft aus. Die kleinen rosa Blütensterne waren fast allesamt aufgesprungen und leuchteten prächtig. Neben Zwitschis Azalee stand ein wunderschönes Alpenveilchen in dunkelpink mit ungezählten Blüten. Es gehörte Kauz Willy, der sichtlich stolz darauf war. Neben dem Alpenveilchen war ein Usambaraveilchen zu sehen. Es blühte in lila-weiß und sah kräftig und gesund aus. Paul Kauz hatte es mitgebracht. Es folgte mit Startnummer 4 eine riesige Anthurie mit sage und schreibe 9 gehämmerten roten Blüten und kräftigen herzförmigen Blättern. Fuchs Listig hatte diese prächtige Pflanze gezüchtet. Igel Stachelchen hatte sich mit seinem Einblatt angemeldet. Es leuchtete strahlend weiß und hatte sieben schöne Blüten. Danach folgte mit Startnummer 6 ein Hibiskus in einem zarten orange. Er war über und über mit Blüten besetzt und gehörte der Eule Agathe. Eichhörnchen Hüpf stellte ein weißes Alpenveilchen mit gekräuselten Blüten, die herrlich dufteten zur Schau. Kobold Wuschel hatte ein Orangenbäumchen mitgebracht: „Heute morgen waren noch 34 Orangen dran und unzählige weiße Blüten, aber meine Hausgespenster …“ „Hör auf, dich zu beklagen, die Dinger waren sauer hoch drei“, meinte Gruseli verdrießlich und verzog das Gesicht. Familie Hase nahm mit einer von blauen Blüten übersäten Drehfrucht am Wettbewerb teil. Startnummer 10 gehörte den Maulwürfen. Sie hatten ein fleißiges Lieschen an den Start gebracht, das über und über rosa strahlte. Die beiden Tauben Guri und Guru waren mit einem flammenden Käthchen in rot zum Wettbewerb gekommen. Luzie hatte eine ihrer Orchideen angemeldet. Sie hatte zwei Triebe, die wiederum hatten jeweils zwei Nebentriebe. Kurz und gut, es waren 28 dunkelviolette Blüten mit weißen Punkten an der Pflanze und noch einmal 7 Knospen.
„So können Zimmerpflanzen also aussehen, geahnt hab ich es ja schon immer …“, entfuhr es Puh, als er auf die Waldwiese kam, das Körbchen mit den Seidenrosen im Arm. „Was bringst du hier Schönes?“, wollte Kitty, das Wichtelfräulein wissen, die den Vorsitz der Jury übernommen hatte, „Kunstblumen sind, wie ich weiß gar nicht zugelassen.“ Bevor Puh etwas erwidern konnte, hatte sie ihm das Körbchen abgenommen und es zum Jurytisch gebracht. Kurze Zeit später kam sie zurückgeeilt: „Du hast Glück, die Schmetterlinge haben gesagt, du bekommst die Nummer 13.“ Puh stand immer noch wie vom Donner gerührt, nun aber immerhin mit Startnummer behängt da. Er malte sich schon aus, was Luzie sagen würde. Sicher war sie nicht begeistert von seiner Teilnahme. Und jetzt hatte er auch noch die Nummer 13 gezogen - etwa ein Zeichen von oben? Das konnte ja heiter werden. Zuerst eine verzauberte Amaryllis und jetzt ein Seidenrosenkörbchen für den Wettbewerb. Oje, und dabei sollte das doch das Versöhnungsgeschenk für Luzie sein. Wenn er ihr das doch erklären könnte. Aber er konnte ihren blauen Haarschopf nicht ausmachen, so sehr er auch suchte.
„Dein Körbchen sieht ja richtig hübsch aus“, lobte ihn Zwitschi. „Finde ich auch“, raunte ihm Paul zu. „Und auch ich muss sagen, sehr geschmackvoll, schon die Farbzusammenstellung verdient einen Preis“, sagte Willy Kauz. „Aber das ist alles ein Missverständnis“, seufzte Puh, „dieses Körbchen ist doch gar nicht für den Wettbewerb, es ist für Luzie, weil ich ihr sagen wollte, dass mir die Schummelei mit der Amaryllis leid tut.“ „Dazu wirst du wohl keine Gelegenheit mehr haben“, kicherte Zwitschi. Der Wichtel rutschte in sich zusammen. „Das fürchte ich auch, ich konnte sie nicht rechtzeitig finden, um ihr das zu erklären“, sagte er verzweifelt. „da seh' ich schwere Zeiten auf dich zukommen“, lachte Paul Kauz und zwinkerte Willy zu, der heftig nickte. Nun konnte Luzie, die sich in Puhs Rücken geschlichen hatte, nicht mehr an sich halten. „Bekomme ich das Rosenkörbchen auch dann, wenn du damit den goldenen Blumentopf abräumst?“, fragte sie und lächelte ihn strahlend an. Puh hatte sich zu ihr umgedreht und sie in seine Arme geschlossen. „Aber natürlich liebe Luzie“, hauchte er ihr ins Ohr, „übrigens, du in deinem neuen Blumenkleid, stichst jede dieser Blumen aus“, sagte er und bekam für dieses Kompliment einen Kuss. „Das wollte ich auch gerade sagen“, gluckste Zwitschi fröhlich und hielt Luzie erwartungsvoll den Schnabel hin. Sie lächelte und gab ihm ebenfalls einen dicken Schmatz.
„Achtung! Achtung!“, verkündete Kitty, „wir haben den Sieger ermittelt. Ihr habt es uns sehr schwer gemacht. Viele wunderschöne Pflanzen wurden uns vorgestellt. Und das Körbchen mit den Seidenrosen ist eine herrliche Bastelarbeit. Ich möchte alle Teilnehmer zu ihren grünen Daumen beglückwünschen. Und Puh zum grünen Fingerhut. Nach langer eingehender Beratung möchte ich euch den Sieger verkünden, und euch noch einmal sagen, dass ihr alle Sieger seid. Aber diesen Wettbewerb hier hat Fuchs Listig mit seiner Anthurie gewonnen.“ Der Fuchs strahlte und hob glücklich den goldenen Blumentopf, den ihm Kitty feierlich überreicht hatte, in die Höhe. „Foto“, schnarrte die Krähe Gundula und dann löste eine Kamera aus. Fuchs Listig setzte sich den Blumentopf nun wie einen Helm auf den Kopf. „Foto“, schnarrte die Krähe wiederum und drückte den Auslöser erneut. „Dieser Schnappschuss bringt mir bestimmt gleich drei Schokotaler auf einmal“, sagte Gundula mit sich und der Welt zufrieden und flog in die Redaktion der „Waldnachrichten“, um das beste Geschäft ihres Lebens zu machen.