Der Duft der Nüsse kitzelte Hüpf in der Nase. Als er die Dickste aus dem Korb geangelt hatte, beschlichen ihn leise Zweifel: "Sollte ich bei einer so großen Nuss nicht doch lieber meine Nusszange nehmen? Dazu müsste ich allerdings erst einmal wissen, wo sie steckt. Wo hab' ich sie nur wieder hingeräumt? Ach, nicht so wichtig." Hüpf beschloss, die dicke Nuss mit seinen Zähnen zu knacken. Schließlich war er ja ein Eichhörnchen. Das war ein Fehler. Als er auf die harte Schale biss, brach er sich einen Zahn ab. "Aua, sind das Schmerzen! Was mach' ich bloß? Ich weiß, ich werde meinen geschundenen Zahn selbst behandeln. Ich versuch' es mal mit etwas kaltem Wasser zur Beruhigung, dann mach ich etwas Sekundenkleber drauf und klebe den abgebrochenen Zahn wieder an." Dieser Plan erwies sich leider ebenfalls als Fehler. Als sein geschundener Zahn mit dem kalten Wasser in Berührung kam, schrie er laut auf. "Aua, Hilfe, aua, wie das zieht!" Allmählich verging der Schmerz wieder und war bald darauf beinahe völlig verschwunden. Hüpf setzte sich in seinen Ohrensessel und atmete tief durch. Und jetzt?
Vielleicht konnte er den ersten Teil mit dem Wasser auch getrost weglassen und gleich Sekundenkleber auftragen. Oder doch besser nicht? Womöglich erwies sich Sekundenkleber als vollkommen ungeeignetfür Zahnbehandlungen! Und dann? Bestimmt ließ es sich auch gut mit einem halben Zahn leben. Ein langsam wieder stärker werdender bohrender Schmerz bewies ihm das Gegenteil. Also doch Sekundenkleber? Vielleicht sollte er sich lieber irgendwo professionelle Hilfe suchen. Hüpf überlegte. Wer konnte ihm eigentlich helfen? Vielleicht Puh? Oder war das auch wieder ein Fehler? So ein Schritt musste gründlich durchdacht sein. Konnte er dem Wichtel wirklich seine Zahnprobleme anvertrauen? Vielleicht war ja doch keine Behandlung nötig. Der Schmerz wurde wieder heftiger und Hüpf wurde die Entscheidung abgenommen. Er schob den abgebrochenen Zahn in die Backentasche und band sich ein Taschentuch vors Schnäuzchen, damit sein kranker Zahn nicht vom Morgenwind kalt erwischt werden konnte. Dann verließ er sein Nest. Jetzt aber los. Erstaunlich, je näher er dem Zwergengarten kam, desto mehr ließen die Zahnschmerzen nach und als er vor dem Gartentor stand, waren sie ganz verschwunden. Aber die Schmerzen konnten zurückkommen, das wusste Hüpf genau.
"Hallo Hüpf, was ist denn mit dir los?", fragte Zwitschi, nachdem das Eichhörnchen grußlos an ihm vorbeigeflitzt war. Hüpf reagierte nicht. Er steuerte zielstrebig auf das Zwergenhaus zu. "Was mit dir los ist, will ich wissen", zwitscherte der kleine Vogel erbost."Wuhwuhwuh", antwortete das Eichhörnchen. "Warte mal, ich mache dir diesen komischen Verband ab, dann geht's bestimmt besser", bot der kleine blaue Vogel an und zupfte mit dem Schnabel am Knoten des Taschentuches. Das war zu viel für Hüpf. Wie ein Wirbelwind sprang er die Stufen zum Zwergenhaus hinauf und hämmerte an die Tür. Er war mit knapper Not Zwitschis Bemühungen entkommen. Puh öffnete glücklicherweise sofort und Hüpf huschte an ihm vorbei in die warme Stube. Zwitschi stand nun auch vor der Tür und trippelte hinter Puh her, der leicht irritiert zu Hüpf ging. So etwas war dem Wichtel noch nicht untergekommen. Das Eichhörnchen hatte sich inzwischen entknotet und sprach: "Erst einmal guten Morgen. Ich entschuldige mich für mein unhöfliches Verhalten, aber Zwitschi hat sich auf mich gestürzt als wäre ich ein frisches Erdbeertörtchen. Zum Glück konnte ich ihm entkommen." "Wenn Puh dir nicht aufgemacht hätte, wärst du mir nicht entwischt. Außerdem hat mich dein komisches Taschentuch vorhin total bei der Begrüßung gestört. Ich konnte dich gar nicht verstehen", rechtfertigte sich der Vogel. "Tut mir leid, aber es ging nicht anders", erklärte Hüpf. Davon unbeeindruckt, plärrte Zwitschi weiter: "Das musst du dir mal vorstellen, was der da von sich gegeben hat. Wenn du das gehört hättest. Wuwuwu, das klang wie ein Kauz mit verbogenem Schnabel." "Und du hast versucht, an mir rumzuschnabeln", beschwerte sich Hüpf. "Wuwuwu", äffte Zwitschi ihn nach, "der hat wuwuwu gesagt." "Ruhe! Wie soll ich mich bei dem Gekreische konzentrieren!", So ein Durcheinander am frühen Morgen konnte der Zwerg nicht ertragen. "ich bin sicher, Hüpf hat einen Grund für seinen seltsamen Aufzug. Wozu hast du dir dieses Taschentuch umgebunden, Hüpf?" "Ich habe mir heute ein Stück Zahn ausgebissen. das Taschentuch war bitter nötig, sonst wäre mir dieser verflixte kalte Wind bestimmt in den Zahn gefahren." "Verstehe. Ich sehe mir jetzt mal das Problem an", versprach der Zwerg. "Sag mal a, Patient Hüpf." "Muss das sein?" "Wie soll ich dir helfen, wenn du mir den Problemzahn nicht zeigst?" "Wenns denn sein muss, obwohl ich trotzdem finde, dass a ein blöder Buchstabe ist." "Aber mit a gehts nun mal am besten. Mach mal weit auf. ich muss mir die Sache einmal genau ansehen." Hüpf tat ihm den Gefallen und ließ ein A erschallen.
Der Zwerg sah gleich, dass er handeln musste und zu hören kriegte er es ebenfalls. "Hilf mir Puh, die Schmerzen sind zurück!", jammerte Hüpf, als Puh mit seinem Spiegel an den kranken Zahn stieß. "Ganz ruhig. Ich muss mal kurz nachdenken, was ich für dich tun kann." "Glaubst du, dir fällt etwas ein?", Hüpf hatte kein Vertrauen in Puhs Überlegungen. "Wahrscheinlich nicht", gab der Zwerg offen zu. Hüpf begann am ganzen Körper zu zittern. "geht es noch direkter?", mischte sich Zwitschi ein. "Ich mein' ja nur", brummelte Puh. "Puh will sagen, er findet bestimmt etwas in seinen schlauen Büchern", Zwitschi hatte das Gefühl, dass Hüpf etwas Trost gut brauchen konnte. Der kleine Vogel hatte sicher recht. Also gab der Zwerg seine Überlegungen auf und trat ans Bücherregal heran. Er musterte kritisch seine Zauberbücher. Da war es ja - "die besten Zaubertricks der Medizin von a bis z". Puh schlug den dicken Wälzer auf. "zahn, zahn", murmelte er vor sich hin. Tatsächlich, er war fündig geworden. "Zahn abgebrochen", rief er. "Hast du was?", fragte Zwitschi. "Ich denke schon." "Wird es funktionieren?", fragte Hüpf besorgt. "Keine Ahnung. Ich fürchte, wir müssen es probieren." Erneut zitterte Hüpf am ganzen Körper. "Puh meint es nicht so, er wollte sagen, dass er den Spruch schon oft verwendet hat", sagte Zwitschi beruhigend. "Das wollte ich nicht", protestierte Puh. Hüpf rollte mit den Augen. "Wie vergesslich er doch ist. Da ist ihm doch glatt die Zahnoperation beim Igel Stachelchen entfallen", stöhnte Zwitschi. Als Puh erneut Anstalten machte, etwas zu sagen brachte ihn Zwitschi mit wilden Flügelschlägen hinter Hüpfs Rücken zum Schweigen. Hoffentlich glaubte das Eichhörnchen an das, was er ihm verzweifelt einzureden versuchte. Hüpf musste nun das Mäulchen weit öffnen und Puh setzte das verlorene Stück Zahn auf das andere. Dabei murmelte er folgende Worte:
"Zahnstück wachse wieder an!
Damit der Hüpf gut beißen kann!"
"Das wäre geschafft", freute sich der Zwerg. "Und so schnell", lobte Zwitschi. "Zeig mal her." Hüpf präsentierte voller Stolz seine Zahnreihen. Der Vogel kugelte sich vor Lachen auf dem boden herum. "Was hast du?", fragte Hüpf. Nachdem sich Zwitschi wieder etwas beruhigt hatte sagte er: "Na Puh hat, hahahaha, er hat, hahahaha!" "Was ist denn?", wollte nun auch Puh wissen. "Schau's dir doch selbst an, großer Meister, hahaha!" "Na komm Hüpf, zeig Doktor Puh mal die hübschen Beißerchen." Zwitschi kringelte sich noch immer auf dem Boden, während Hüpf widerstrebend seine Zähne zeigte. Nun sah auch der Wichtel die Bescherung. Er hatte das Zahnstück verkehrt herum angezaubert. "Und was nun?", fragte Puh. "Was fragst du mich, du bist doch der große Zauberkünstler", maulte Hüpf. Der Wichtel schaute im Buch nach. Unter Tipps für den unmöglichsten Fall aller Fälle fand er, was zu tun war. Wieso stand da eigentlich: "Lieber Puh als einleitender Satz? "Diese Zauberbücher waren ein echtes Rätsel! ? "Also hilft nix, da muss ich noch mal ran, und zwar schnell. Schon in einer halben Stunde sitzt der Zahn für immer fest."
Puh holte eine dünne Nadel, mit der er das aufgesetzte Stück wieder entfernen wollte. Hüpf überfiel eine heiße Angst. Er schrie was das Zeug hielt. Und Zwitschi? Der kicherte noch immer. Das Eichhörnchen sprang von einer Pfote auf die andere und hielt eine der Vorderpfoten schützend vor seinen verkehrt zusammengesetzten Zahn. "Es tut bestimmt nicht weh und dauert nicht lange", Puh versuchte das Eichhörnchen zu beruhigen. "Das kannst du auch sagen! Ist ja schließlich nicht dein Zahn! Zaubere lieber noch mal", schrie Hüpf. "Geht nicht, hier ist nur ein Zauber drin für das Zusammensetzen. Ich sehe genau zwei Möglichkeiten: Entweder ich hebe das Zahnstück jetzt mit dieser Nadel hier ab oder du beißt noch mal auf die dicke Nuss und wir sehen uns in einer halben Stunde wieder." Hüpf fand noch eine dritte Möglichkeit, er wimmerte und sah Puh anklagend an. Der Zwerg blickte verschämt zu Boden. Zwitschi empfand nun inniges Mitleid für das Eichhörnchen. Tief in seinem inneren war er sehr froh darüber, dass er keine Zähne hatte, denn Puhs zahntechnische Fähigkeiten überzeugten ihn nicht.
"Da hast du aber Mist gebaut", schimpfte er mit dem Wichtel. Puh schwitzte. Jetzt musste er sich auch noch die Vorwürfe seines gefiederten Mitbewohners anhören. Zwitschi würdigte ihn keines Blickes und widmete sich dem zitternden Eichhörnchen. er streichelte den armen Patienten mit seinem Flügel. Hüpf wurde ruhiger. "Nun zeig mir mal den Zahn", bat Puh. Der kleine Vogel begann zu zwitschern und Hüpf ließ die Vorderpfote sinken. "Hypnotisierst du ihn etwa?", fragte der Zwerg verblüfft. "Keine Ahnung, was ich hier mache, aber immerhin scheint es zu funktionieren" Der Zwerg nutzte die Gunst des Augenblicks und hob Vorsichtig das falsch aufgesetzte Zahnstück mit der magischen Nadel herunter. "Na siehst du, war doch gar nicht so schlimm." Das Eichhörnchen zitterte noch immer. "So, nun kann noch einmal gezaubert werden", verkündete Puh stolz. "Aber nur, wenn Zwitschi vorher schaut, ob du es auch richtig machst", verlangte das Eichhörnchen. "So soll es sein", sagte der Wichtel, dem das alles schrecklich peinlich war. "Jetzt ist es prima", lobte Zwitschi nach einem kritischen Kontrollblick. Noch einmal sagte Puh sein Sprüchlein:
"Zahnstück wachse wieder an!
Damit der Hüpf gut beißen kann!"
Diesmal klappte es. Das Eichhörnchen war nun wieder ein Eichhörnchen mit gesunden Zähnen. Und es konnte seine neugewonnene Bisskraft gleich testen. Da stand doch noch dieser herrliche Nusskorb in seinem Nest. Eiligst bedankte Hüpf sich bei Zwitschi und Puh und sauste nach Hause. Dort war ja seine Nusszange - natürlich steckte sie unterm Bett. Wieso war er nicht gleich darauf gekommen. Alles, was er bis jetzt gesucht hatte, war unterm Bett zum Vorschein gekommen. Ein Glück, dass sie da war. Auf einen weiteren Besuch bei Zahnarzt Puh konnte er getrost verzichten.