Sattelfest

Der Zauberwald erlebte einen prachtvollen Herbsttag. Die Bäume trugen ihre buntesten Kleider zur Schau und standen stolz in der golden strahlenden Sonne. Die letzten verirrten Nebelschwaden huschten geschwind zwischen ihren kräftigen Stämmen hindurch und stiegen in den blauen Himmel hinauf, um dort mit den Schäfchenwolken, die wie dicke Wattebäusche aussahen, Schabernack zu treiben. Puh saß auf der Bank im Zwergengarten. Auf dem Tisch vor ihm lag ein Rätselheft. Um seine Nase wehte der kräftige Duft von frisch aufgebrühtem Pfefferminztee, der träge aus der schlanken Tülle der bunt bemalten Teekanne kroch. Seinen Bleistift hatte der Wichtel inzwischen schon völlig zerkaut. Weshalb schmeckten Bleistifte eigentlich nicht nach Himbeerbrause oder wenigstens nach Pflaumenmus? Und diese schwierigen Fragen, wer wusste denn so etwas: Hier zum Beispiel: Trinkgefäß mit sieben Buchstaben, der dritte ist ein E. E oder nicht E, bei mir wird’s schon eng bei einem siebenbuchstabigen Trinkgefäß, dachte Puh verbittert. "Na, brauchst du ein wenig Hilfe?", ließ sich da plötzlich eine muntere Vogelstimme vernehmen und Zwitschi landete mitten auf dem Kreuzworträtsel. "Könnte schon sein", murmelte Puh und versuchte die Frage mit den Augen zu hypnotisieren. Zwitschi fragte: "Was soll ich für dich lösen?" "Hier, Trinkgefäß mit sieben Buchstaben, der dritte ist ein E." "Wie wär's mit Kuebel?", schlug der kleine blaue Vogel vor und breitete zufrieden mit sich und der Welt seine Flügel aus. "Kuebel hat nur sechs Buchstaben", knurrte Puh, der mit Zwitschis Antwort nicht glücklich war. "Schreib noch ein L mehr hinten dran und dann stimmt die Sache wieder", meinte Zwitschi keck. Als er sich zur Seite drehte, entdeckte er etwas, das ihm viel interessanter erschien, als zwei waagerecht, drei senkrecht. "Oh eine dicke braune Kastanie", freute er sich, "daraus werde ich im Schnabelumdrehen ein kleines Geschenk für dich machen. Dann bist du gleich wieder fröhlich, wart's ab." Und eifrig begann er mit seinem Schnabel ein Gesicht hineinzuritzen. Puh goss sich inzwischen von seinem Tee ein. Vielleicht brachte der ja die ersehnte Erleuchtung.

> "Ich hab's", verkündete der Vogel nach einer Weile aufgeregt. "Sag bloß, du weißt die Lösung", war Puh verblüfft. "Welche Lösung, ich hab doch schon längst die Frage vergessen", erklärte Zwitschi, "nein, ich meinte ich bin fertig mit meinem Kunstwerk. Sieh mal, lieber Puh, das hier möchte ich dir schenken." Und damit kullerte er die Kastanie mit seinem Schnabel auf das Rätselheft. "Danke Zwitschi", sagte der Wichtel und betrachtete aufmerksam das Werk seines blau gefiederten Freundes. "Was sagst du dazu", war der Vogel begierig zu wissen, "hab ich dich nicht gut getroffen?" "Ach ich soll das sein?", war Puh verwundert. "Na klar, das sieht man doch auf den ersten Blick", sagte Zwitschi im Brustton der Überzeugung. "Und woran genau hätte ich mich erkennen können", wollte nun der Wichtel wissen, "es könnte doch auch Kobold Wuschel sein." "Nein kann es nicht", protestierte Zwitschi, "du kannst schließlich deutlich erkennen, dass diese Kastanie ein lachendes Gesicht zeigt." "Ja", bestätigte Puh, "und weiter?" "Na, das lachende Gesicht ist deines, weil du den größten Teil deiner kostbaren Zeit in meiner Gesellschaft verbringst. Wuschel hingegen bekäme von mir ein etwas weniger strahlendes Gesicht. Er hat schließlich nur seine Hausgespenster. Die sind zwar auch nicht von schlechten Eltern, aber einem Zwitschi können sie nicht das Wasser reichen. Wenn ich jetzt noch eine Kastanie hätte, könnte ich dir den Unterschied zeigen." Puh lachte. Mit Zwitschi wurde es wahrlich nie langweilig, aber ein kleiner Prahlhans war er schon manchmal. "Hab ich da was von noch einer Kastanie vernommen?", gähnte es oben im Astwerk des altehrwürdigen Kastanienbaumes. Kauz Willy lugte verträumt unter dem Bunten Blätterdach hervor. Dann pflückte er mit dem Schnabel einen der aufgeplatzten grünen Kastanienigel ab und warf ihn auf den Tisch hinunter. "Danke", sagte Zwitschi und während er die frische braune Frucht herausschälte, fiel ihm plötzlich etwas auf. "Ein hübsches Teeglas hast du da, lieber Puh, genau so leuchtend blau wie mein Gefieder." Der Zwerg schlug sich mit der Hand vor die Stirn: "Zwitschi, du bist genial!" "Hä, was bin ich", der kleine Vogel glaubte sich verhört zu haben. Genial und er? Wie sollte das zusammenpassen? Das war ja wie Schokopudding mit sauren Gurken. "Ja, du bist genial, du hast es gelöst!", rief Puh begeistert. "Gelöst? Was?" Zwitschi war wie vom Donner gerührt. "Na ein Teeglas ist ein Trinkgefäß!" "Natürlich ist ein Teeglas ein Trinkgefäß, was willst du denn sonst damit machen?", lachte Zwitschi und zog die Stirn kraus. Nach kurzem Überlegen meinte er dann: "Na ja, als Wurfgeschoss ließe es sich auch eventuell verwenden." "Genial nehme ich wieder zurück", schmunzelte Puh und ergänzte die fehlenden Buchstaben in seinem Rätsel. "Ach so hast du das gemeint", begriff Zwitschi plötzlich, "dein genial kannst du aber trotzdem wiederhaben. Genial wäre nämlich doch eine zu große Bürde für einen so kleinen Vogel wie mich." Dann widmete er sich wieder seiner Arbeit. "So", sagte er nach ein paar Minuten, das ist Wuschel." Zufrieden schob er das Kunstwerk zu Puh hinüber. "Aha", meinte der Zwerg und machte große Augen. Er konnte die beiden Kastanien überhaupt nicht voneinander unterscheiden. Den kleinen Künstler wollte er allerdings auch nicht beleidigen. Was sollte er nur machen? Doch da war ja etwas! Wuschel hatte einen winzigen weißen Fleck auf der Stirn. Daran konnte er ihn zielsicher erkennen. "Sind sie nicht toll geworden", strahlte Zwitschi voller Begeisterung. "Ja das sind sie", lobte ihn Puh, der es faszinierend fand, wie Zwitschi zwei so fröhliche Gesichter in die beiden Kastanien geschnitzt hatte. Auch wenn es Zwillingsgesichter waren, schön sahen sie allemal aus. "Ich schenke sie dir beide", sagte der Vogel, "kann ich eigentlich noch was für dich raten?" "Ja, kannst du. Ich brauche noch gleichgültig mit vier Buchstaben, der zweite ist ein G." Zwitschi legte den Kopf schräg und dachte angestrengt nach. "Keine Ahnung", meinte er dann.

> Mit einem fröhlichen "Hallo" landete nun Willy Kauz auf der Gartenbank. "Was hast du denn aus meiner Kastanie gemacht?", erkundigte er sich. "Wuschel", erklärte Zwitschi. "Das klingt ja äußerst interessant", sagte Willy und reckte den Hals. Vielleicht konnte er das Kunstwerk ja erspähen. "Mich gibt es übrigens auch in Kastanie", verkündete Puh stolz und strahlte übers ganze Gesicht. "Zeig mal her", war Willy neugierig. "also, pass gut auf, hier kommt Puh", sagte Zwitschi und kullerte die weiß gefleckte Kastanie zu Willy auf die Bank hinunter. "Halt, halt", unterbrach ihn Puh, der das Ganze genau beobachtet hatte, "das ist Wuschel. Ich bin die andere Kastanie." "Hä?", war der kleine blau gefiederte Künstler verblüfft, Woher wollte dieser Wichtel das so genau wissen? Die beiden Kastanien glichen sich doch wie ein Ei dem anderen. Zwitschi konnte sie selbst nicht unterscheiden. Er hätte Wuschels Gesichtszüge vielleicht doch ein wenig markanter herausarbeiten müssen. "ach ist ja auch egal, hier hast du noch die andere, lieber Willy, such dir am besten selber aus, wer wer ist." "Zwitschi", jauchzte Puh plötzlich auf, "du bist nicht nur genial, du bist absolut genial!" "Hä, was denn nun schon wieder?", war Zwitschi verdattert. "Gleichgültig", sagte Puh. "Hä, zuerst sagst du, ich bin absolut genial, dann ist es dir wieder gleichgültig, dass ich absolut genial bin …" Puhs Bleistift flitzte über das Papier. "… ach so, sag bloß, ich hab schon wieder was gelöst." "Ja hast du", lachte Puh und STRICH Zwitschi übers schlaue Köpfchen. "Noch ne Frage", forderte der kleine blaue Vogel. Er war jetzt bis in die äußersten Federspitzen motiviert, "ich bin grade so schön dabei." "Also gut, ich brauche noch einen Bestandteil der Uhr, sieben Buchstaben und hinten ein K." "Kuckuck", schoss es aus Zwitschi heraus. "Wieso kommst du ausgerechnet auf Kuckuck?", erkundigte sich der Zwerg. "Wieso denn nicht", gab Zwitschi zurück und aus dem angeklappten Küchenfenster erschallte wie zur Bestätigung die Kuckucksuhr und verkündete 2 Uhr nachmittags. Puh betrachtete misstrauisch die Zeiger seiner Armbanduhr. Es fehlten noch fünf Minuten bis zwei. Wie war so etwas möglich? "Na, hab ich's nicht gesagt", fragte der kleine blaue Vogel und plusterte siegessicher sein Gefieder auf. "Hast du, aber nenne mir mal einen Nachtvogel mit drei Buchstaben der mit K beginnt." "KAUZ, wenn wir das Z großzügig unter den Tisch fallen lassen", schlug Zwitschi vor. "Ich lass mir doch nicht mein Z von euch stibitzen", protestierte nun Willy lauthals, "der Nachtvogel mit drei Buchstaben ist eindeutig ein UHU." "Was du nicht sagst", fauchte Zwitschi, "dann bin ich ja mal ganz gespannt auf deinen Uhrenbestandteil mit U und sieben Buchstaben, der am Ende ein K hat." "Wie wäre es mit UHRWERK", sprudelte es aus Willy heraus. "Könnte hinkommen", brummelte Zwitschi beleidigt. Er mochte keine Besserwisser, es sei denn er war gerade selber einer von ihnen. Puh schien es völlig egal zu sein, wer sein Rätsel löste. Sein Bleistift sauste mit sicherem Strich durch die Kästchen. Gerade wollte er das W von Uhrwerk schreiben, da fuhr er jäh zusammen. Ein metallisches Scheppern ertönte aus Richtung Gartentor.

> Neugierig begab er sich mit seinen beiden gefiederten Freunden im Schlepptau dorthin. Was war das? Kitty, das kleine Wichtelfräulein mit den lustigen Ringelsöckchen, stand wutschnaubend da, die Hände in die Hüften gestemmt und stampfte abwechselnd mit den Füßen auf. Vor ihr, im Gras, lag ein leuchtend rotes Fahrrad, dessen Räder sich noch ein wenig drehten. Einen halben Meter weiter lag ebenfalls leuchtend rot, ein Fahrradhelm. "Verflixt noch mal, mir reicht's jetzt aber endgültig! Seit einer Stunde trete ich in die Pedale, gefühlte hundertmal habe ich den Waldweg gemessen und dieser Wuschel fährt einfach vornweg und nimmt keinerlei Rücksicht auf mich!", schrie sie wütend. Mit hochrotem Kopf sah sie in die Ferne. Puh folgte ihrem Blick. Da kam ja Wuschel zurückgeradelt. Er saß auf einem leuchtend gelben Fahrrad und trug natürlich einen leuchtend gelben Fahrradhelm. "Wo bleibst du denn nun schon wieder?", rief er Kitty fröhlich entgegen. "Ich bleibe hier, wenn du es genau wissen willst!", brüllte sie ihn an, "keinen Millimeter fahre ich mehr mit diesem idiotischen Stahlross!" "Ich hab's dir doch schon erklärt, Balance, Kitty, Balance musst du halten, dann ist alles ganz leicht", sagte Wuschel und strahlte, als hätte er ihr gerade den ultimativen Tipp gegeben. "Lass mich in Ruhe mit deinen blöden Ratschlägen", schimpfte Kitty und trat wütend nach dem Schutzblech des Hinterrades. "Ich weiß nicht, was du willst. Ich gebe mir Mühe und erfülle dir deinen größten Herzenswunsch und du schreist mich auch noch an dafür", sagte Wuschel und rang verzweifelt die Hände. "Welchen Herzenswunsch", fauchte Kitty. "Na du hast dir doch gewünscht, einmal fest im Sattel zu sitzen und da hab ich uns zwei Fahrräder ausgeliehen", erklärte Wuschel. "Von Fahrrädern war nie die Rede", zischte Kitty, "der Sattel, den ich meine liegt auf einem Pferdchen mit weißem Seidenfell und langer silbern glänzender Mähne." Und dann stob sie außer sich davon, ihre Fahrradhandschuhe warf sie im weiten Bogen hinter sich. "Wichtelfräulein, nie kann man es ihnen recht machen", resümierte Wuschel und hob Kittys Fahrrad auf, nachdem er sein eigenes gegen den Zaun gelehnt hatte. "Da sagst du was", seufzte Puh und begann aus dem Nähkästchen zu plaudern, "ich hatte für Luzie einmal Schichtnugatpralinen erstanden und wollte sie ihr zum Geburtstag schenken. Da fiel ihr plötzlich ein, dass sie ein bisschen auf ihre Figur achten müsse. Mir blieb nicht mehr viel Zeit. Was mache ich also - ritterlich und vollkommen uneigennützig? An einem einzigen Nachmittag esse ich den ganzen Kasten auf, riskiere eine Überzuckerung, nur damit ich ihr am nächsten Tag die leere mit einer schönen blauen Seidenschleife verzierte Verpackung überreichen kann. Was glaubst du, was da los war?" "Ich kann es mir lebhaft vorstellen", meinte Wuschel. "Aber noch schlimmer war es, als Luzie ihm sagte, ihre Tanzschuhe hätten ihr ein fettes Hühnerauge beschert und er ist dann mit einer Packung Hühneraugenpflaster angerückt", berichtete Willy. Er war schließlich gut informiert. "Woher weißt du das schon wieder?", fragte der Zwerg verblüfft. "Die Bäume unseres schönen Zauberwaldes haben gute Ohren und ihre Blätter wispern mir dann …" "Unsinn", unterbrach ihn Puh unwirsch, "Von wegen Blätter, Paul Kauz hat dir das bestimmt wieder alles zugewispert. Diese schwatzhafte alte Tratschfeder! Mit dem muss ich mal ein ernstes Wort reden!" "Und ich werde garantiert als Erster erfahren, wann du das gemacht hast", verkündete Willy Kauz. Puh schickte einen flehenden Blick in den strahlend blauen Himmel hinauf.

> Wuschel hatte inzwischen Kittys Fahrradhandschuhe aus der Hecke gepflückt und hielt sie Puh entgegen: "Na wie wär's. Hättest du Lust auf einen Männerausflug mit dem Rad?" Der Zwerg nickte bedächtig: "Das ist so eine Sache. Ich weiß nicht, ob ich noch ganz sattelfest bin. Ich bin schon seit mindestens fünf Jahren nicht mehr mit dem Rad unterwegs gewesen." "Dann steig doch einfach auf und probier es aus", ermunterte ihn Wuschel. Puh schnappte sich Kittys Rad und trat in die Pedale. Es wankte ein wenig nach links, es wankte ein wenig nach rechts, aber es fiel nicht. "Das ist sehr gut", ließ sich Wuschel lobend vernehmen. Puh fühlte sich großartig. Wie würde es erst sein, wenn er den kleinen Abhang dort hinuntersauste. Das wäre bestimmt ein Riesenspaß. Und schon ging es munter bergab. Doch halt, welche war noch mal die Hinterradbremse? die Linke oder die rechte. Die Linke, es musste die linke sein. Obwohl, eigentlich musste der erste Gedanke ja nicht zwangsläufig der beste sein. Also doch lieber die Rechte? Die Entscheidung wurde Puh von einem Baumstamm, der quer über dem Weg lag, abgenommen. Er riss an der rechten Bremse. Das Vorderrad blockierte und der Zwerg flog in hohem Bogen über den Stamm hinweg, mitten hinein in einen großen Laubhaufen. "Mann, war das eine coole Bruchlandung", ertönte eine Stimme aus der Astgabel über ihm. Paul Kauz. Natürlich! Wie schaffte er es bloß, immer gerade dort zu sein, wo etwas passierte. "Und jetzt lächle mal", feixte Paul und ein Blitzlicht schoss auf Puh hinunter. Na toll, die Titelseite der nächsten Ausgabe der Waldzeitung war ihm schon mal sicher! Zähneknirschend schälte er sich aus dem Laubhaufen, kletterte über den Baumstamm und hob das Fahrrad auf. "Eine Stellungnahme hätte ich noch gern von dir", rief ihm Paul zu. "Vergiss es ganz schnell", zischte Puh ihn an. "Gut, dann eben nicht. Ich werde einfach selber eine erfinden", lachte Paul und flog davon.

> Wuschel, Willy und Zwitschi kamen ihm entgegen, als er das Rad den Abhang hinaufschob. "Ist dir was passiert?", fragten sie besorgt. "Eigentlich nichts, mal abgesehen von Paul Kauz und seiner Kamera", knurrte der Zwerg, "mein Foto wird garantiert die nächste Ausgabe der Waldzeitung schmücken." "Wie macht er das nur immer?", wunderte sich Willy. "Ich weiß es nicht", seufzte Puh, "vielleicht gibt es ihn ja in zehnfacher Ausführung." Endlich waren sie wieder am Zwergengarten angekommen. "Komm Wuschel, wir radeln jetzt los", sagte Puh. "Du willst wirklich radeln?", fragte Wuschel erstaunt. Sein Wichtelfreund verblüffte ihn immer wieder. "du etwa nicht?", fragte Puh zurück. "Doch schon, ich dachte nur, nach deinem Abflug …" "Ich lass mich doch von so einem Sturz nicht abhalten!", sagte Puh und lächelte verschmitzt. Dann schwang er sich aufs Rad. "Und was ist mit uns?", fragten Willy und Zwitschi aufgeregt. Wie gerne hätten die beiden an der Radtour teilgenommen. Doch die Wichtel hatten schon kräftig in die Pedale getreten und zeigten ihnen nur noch die Hinterräder. "Fliegen wir ihnen einfach hinterher", schlug Zwitschi vor. "So machen wir's", stimmte ihm Willy zu, "ein Ausflug in den bunten Herbstwald ist auf jeden Fall eine feine Sache, auch ohne Fahrrad." Aber vielleicht kam er ja doch noch in den Genuss zweier Räder, die ihn fortbewegten. Man konnte ja nie wissen. Also erst einmal hinterher.

> Fröhlich pfeifend strampelten Puh und Wuschel den Waldweg entlang. Der Fahrtwind wehte ihnen um die Nasen, die Sonne folgte ihnen und ließ die silbernen Speichen blitzen. Der Geruch von Pilzen erfüllte die milde Luft und die trockenen Blätter raschelten geheimnisvoll unter ihren Reifen. Die wissen bestimmt auch schon über meinen Abflug bescheid, dachte Puh und zog ein säuerliches Gesicht. Wuschel hingegen betätigte freudestrahlend die Klingel und lachte mit der Sonne um die Wette. Davon ließ sich auch Puh anstecken und läutete ebenfalls das Glöckchen. Aber seines gab nur noch einen kläglichen Ton von sich. "Das wird mir Kobold Knuffel in Rechnung stellen", stöhnte Wuschel auf, "also wieder ein Nugattaler weniger in meiner Konfektdose." "Die Rechnung geht auf mich", zeigte sich Puh großzügig, "an Nugat habe ich mich nämlich gründlich überfressen."

> Zwitschi und Willy waren inzwischen an den beiden Wichteln vorbeigeflogen. "So ein Tag, so wunderschön wie heute", sang Willy und flog große Kreise um drei dicke Tannen. Wie herrlich ihre Nadeln dufteten. Im Winter würde Puh ein paar Zweige ins Haus holen, sie würden gemeinsam ein Adventsgesteck basteln mit goldenen Schleifen, getrockneten Orangenscheiben, kleinen Päckchen aus rotem Papier, einer roten Kerze und ein paar Tannenzapfen. Wie aufs Stichwort landete einer auf seinem Kopf. Zufälle gab es! Oder konnten Zapfen etwa Gedanken lesen. Puh hatte es gesehen und musste herzhaft lachen. "Dein neuer Zapfenhut steht dir recht gut", frotzelte er und stieg vom Rad. Er ließ sich von Willy den Zapfen reichen und betrachtete ihn wohlwollend. "Den verzieren wir mit silbernem Lack und dann kommt er in unser diesjähriges Adventsgesteck", sagte er. "Der aber auch", ließ sich nun Zwitschi vernehmen und hob mit seinem Schnabel einen weiteren Zapfen auf. "Gut, der auch", bestätigte Puh nach einem prüfenden Blick. "Aber meinen Zapfen müssen wir mit Goldlack überziehen", erklärte Zwitschi. "Das glaubst auch nur du! Mein Zapfen ist mit Abstand der Schönste", protestierte nun Willy, "also bekommt meiner auch den Goldlack." Puh besah sich die beiden Zapfen. Er wendete sie hin und her, konnte aber keinen Unterschied feststellen. "Hört auf zu streiten", sie bekommen beide Silberlack. Aber wenn ihr noch zwei sucht, überziehen wir diese dann mit Goldlack." Eifrig machten sich die beiden Vögel auf die Suche. Wuschel vollführte gekonnt eine scharfe Bremsung und sprang vom Rad. "Was hast denn du da?", fragte er neugierig. Aber als Puh ihm die Tannenzapfen unter die Nase hielt sagte er nur: "Ist nicht mein Geschmack." Und damit holte er einen Apfel aus seinem Fahrradrucksack hervor. "Möchtest du auch einen oder ziehst du die weniger nahrhafte Küche vor?", fragte er. Puh lachte: "Ach die beiden Tannenzapfen! Die nehme ich für unser Adventsgesteck mit", erklärte der Zwerg und nahm den Apfel entgegen. "Köstlich", sagte er, genüsslich kauend, "ein äußerst schmackhafter Albrechtsapfel, das muss ich schon sagen." "Mmmh", nickte Wuschel, "direkt aus meinem Obstgarten, diese schönen Äpfel habe ich vor zwei Wochen eigenhändig vom Baum gepflückt." Als die Äpfel aufgemampft waren, holte Wuschel eine Trinkflasche aus der Vorrichtung an seinem Rucksack heraus. „Lust auf Himbeerbrause?“, fragte er Puh und konnte beobachten, wie die Sonne auf dem Gesicht seines Wichtelfreundes aufging. „Gib her!“, forderte Puh ihn auf und streckte die Hand nach der Flasche aus. „Vor…“, begann Wuschel und vollendete, „…sicht!“, als Puh bereits einen tiefen Zug genommen hatte. „Was ist das?“, fragte Puh entsetzt und die schäumende Brause blubberte in weißroten Schaumbahnen über sein Kinn. Vergeblich versuchte der Wichtel, den Mund wieder zu schließen. Die Brause brach sich unaufhaltsam Bahn. „Was zum Kuckuck …“, fauchte Puh wütend und sah Wuschel vorwurfsvoll an. „Ich wollte dich ja noch warnen, denn die Brause haben mir meine Hausgespenster Spuki und Gruseli in den Rucksack gepackt“, verteidigte er sich, „aber du konntest es ja gar nicht abwarten.“ Puh spuckte mit Schaumkugeln um sich. Welch ein Glück, dass nicht einer der vielen Paul Kauzes schon wieder den Auslöser irgendeiner Kamera betätigt hat, dachte er, als er die Schaumflöckchen um sich her betrachtete. „Na wie wär’s Wuschel, auch Lust auf Himbeerbrause?“, fragte Puh herausfordernd, während sich der Schaum langsam auflöste. „Warum nicht“, erwiderte der Kobold und nahm ebenfalls einen kräftigen Zug. Puh sah ihn lauernd an. Wo waren nur die Schaumflocken? Nichts, absolut nichts! Das war doch nicht möglich! Enttäuscht sah er zu Boden. Er wollte nicht mit ansehen, wie Wuschel die Brause restlos auszischte während so absolut gar nichts passierte. Ein markerschütternder Rülpser riss ihn aus seinen trübsinnigen Gedanken. Eicheln regneten unkontrolliert auf Wuschel herab und dann flog etwas mit großer Beschleunigung über ihn hinweg und rief: „Die Rechte an dieser Audio-Aufnahme trete ich dir nicht mal für ein ganzes Fass Milchreis mit Sauerkirschen ab.“ „Paul! Warte mal!“, schrie ihm Wuschel verzweifelt nach und ließ einen zweiten Rülpser folgen. „Danke für die Zugabe!“, rief der klatschsüchtige Kauz und war verschwunden. „Verlass dich drauf“, lachte Puh, „Bei mir läuft in den nächsten Tagen der Waldfunk ohne Unterbrechung. Pauls Sendebeitrag will ich auf keinen Fall verpassen.“ „Hoffentlich sprengt mein Rülpser wenigstens deine Lautsprechermembran“, motzte Wuschel vor sich hin.

Willy und Zwitschi hatten von alledem nichts mitbekommen. Eifrig hatten sie nach schönen Tannenzapfen gesucht. Nun tauchten sie aus dem Laub auf und förderten zwei besonders prächtig gewachsene Exemplare zutage. "Hier hinein", sagte Wuschel und hielt seinen Rucksack auf. Die beiden Vögel ließen die Zapfen aus ihren Schnäbeln direkt hineinfallen. Puh steckte die anderen dazu und nachdem sich Willy und Zwitschi ebenfalls genüsslich kauend einen von Wuschels saftigen Äpfeln geteilt hatten, ging die Fahrt weiter.

Zwitschi flog nun vornweg und Willy bildete den Schluss der Gruppe. "Sag mal Wuschel", rief Puh nach einer Weile, "kann es sein, dass es hier ein bisschen bergauf geht." "Nein hier geht es einfach nur gerade hin", meinte Wuschel, "du bist eben außer Form, wenn du jetzt schon schlapp machst." "Außer Form", Puh war entsetzt, "ich doch nicht! Aber irgendwie komm ich nicht mehr so recht vorwärts auf meiner Tretmühle. Merkwürdig." "das haben wir gleich", sagte Zwitschi und flog ein kleines Stück zurück. Er hatte nämlich einen Verdacht. Genau, was er vermutet hatte! Wie sollte es auch anders sein. Willy saß auf Puhs Gepäckträger, ein Auge blinzelte in die Sonne, das andere schloss sich gerade. "Ursache erkannt", flüsterte er Puh ins Ohr, "aber pssst, nichts verraten. Ich werde mal die ausgleichende Gerechtigkeit spielen." Und dann machte er es sich auf Wuschels Gepäckträger bequem. Ein Kissen wäre nicht übel, dachte er noch. Aber man konnte ja nicht alles haben. "Ich glaube, du hattest recht", sagte der Kobold nach ein paar Metern, "hier scheint es tatsächlich bergauf zu gehen." Puh schmunzelte. Was so ein kleines blau gefiedertes Gepäckstück doch ausmachte. "Dann lass uns jetzt zum Zwergenhaus zurückfahren", schlug Puh vor, "dort können wir es uns noch mit einem Glas Tee gemütlich machen und das restliche Kreuzworträtsel lösen." "Klingt gut", freute sich Wuschel und betätigte die Klingel. Willy erschrak heftig und brachte Puhs Hinterrad ins Schlingern. Aber der Zwerg hatte sein Fahrrad bald wieder unter Kontrolle. "Nicht klingeln Wuschel", ich habe einen Schlafgast auf dem Gepäckträger sitzen, du übrigens auch." Puh sah gerade, wie Zwitschi die Augen schloss. "Schon verstanden", lächelte Wuschel. Diese gefiederten Schlawiner. Hatten sie sich doch tatsächlich auf die Gepäckträger geschmuggelt. Es sei ihnen gegönnt, dachte der kleine Kobold.

Willy schnarchte gerade: "Ja, mir san mit 'm Radel da", als sie am Zwergengarten anlangten. "Alles absteigen", rief Puh. "Aber zuerst mal die Augen aufmachen", empfahl Wuschel, der kopfschüttelnd beobachtete, wie Willy Kauz mit geschlossenen Lidern von Puhs Gepäckträger hinunter ins Gras glitt um dort sein wohlverdientes Nickerchen augenblicklich fortzusetzen. Vor der Tür des Zwergenhauses hockte die Krähe Gundula, eine Papierrolle im Schnabel. Sie ließ die Rolle fallen, als sie die Radler entdeckte und begann lauthals zu krächzen: "Extrablatt! Extrablatt! Puh unterwegs im Auftrag der Igel! Mission Laubhaufentest für den kommenden Winterschlaf!" "Das hat man nun davon, wenn man sich weigert, eine Stellungnahme abzugeben", knurrte der Wichtel und rollte die Zeitung auseinander. "Puh gibt dem Laubhaufen, siehe großes Foto, 5 Sterne", stand da in schwarzen Lettern. Der Zwerg verdrehte die Augen. Aber als Gundula, Zwitschi und Wuschel ihm sagten wie gut er auf dem Foto getroffen sei, verflog sein ganzer Ärger und er sonnte sich im Dunstkreis ihrer Komplimente.