Hochzeitsglocken im Zauberwald

„Was für ein knackiges Mäuschen, da bleiben ja keine Wünsche offen“, freute sich die Eule Agathe und setzte zum Sinkflug an. „So mein Leckerchen, bleib hübsch hier sitzen und lass dich fressen.“ Gerade als die Eule nach der Maus schnappen wollte, hörte sie diese jammern: „Oje, o weh, auch das noch. Jetzt fressen diese Zauberwaldeulen schon sprechende Mäuse. Was für ein schreckliches Ableben.“ „Igitt!“, schrie Agathe auf, „ich fresse doch keinen, der mit mir spricht. Ich such' mir 'nen schweigsamen Happen.“ „Bist du sicher? Ich meine, du könntest es dir vielleicht noch mal überlegen ...“ „Wenn du so weiter quasselst, bestimmt. Mir steht der Sinn nämlich nicht nach Unterhaltung. Also mach die Flatter, oder wie man in deinem Fall besser sagt, mach dich auf die Pfötchen, bevor ich mich vergesse“, Agathe war nicht in bester Stimmung. Nun hatte sie schon endlich eine Maus gefunden und da musste es ausgerechnet eine sein, die der Sprache mächtig war. Die Maus - genau genommen, war sie ein Mäuserich namens Grauöhrchen - machte sich davon. Das war gerade noch mal gut gegangen. „Ich muss schleunigst um die Pfote meiner geliebten Mäusebraut Grauschwänzchen anhalten, sonst werde ich womöglich noch vor der Eheschließung gefressen“, überlegte er. Aber wie? Grauöhrchen und Grauschwänzchen kannten sich schon seit einem Jahr. Seitdem hatte der Mäuserich immer wieder um ihre Pfote anhalten wollen. Er entsetzte sich, als er an seine kläglichen Versuche zurückdachte. „Mein liebes Grauschw... schw... schw...änzchen wwwürdest du vvviellleicht, ich mmmeine, wwwenn du wwwirklich wwwillst ...“ Weiter war er nicht gekommen. Immer, wenn er seiner Auserwählten einen Antrag machen wollte, fing er an zu stottern. Doch damit musste Schluss sein. Das Mäuseleben war viel zu kurz, um es zu verstottern.

Während er überlegte, stieß er mit der Nase gegen ein Zwergenbein. Es gehörte Puh, der gerade auf dem Waldweg lag und rote Walderdbeeren in ein Körbchen sammelte. „Huch“, der Wichtel erschrak. Grauöhrchen, der tief in Gedanken versunken war, kreischte in den höchsten Tönen: „Hilfe! Nein, nicht schon wieder! Ich bin noch so jung und möchte nicht gefressen werden.“ „Ich? Dich fressen? Ich bitte dich! Glaubst du, wir Zwerge sind an Mäusebraten interessiert?“ „Ach, ein Zwerg. Welch ein Glück, dass ich nicht schon wieder eine Eule getroffen habe. Diese Eulen sind äußerst verfressen und ständig auf der Suche nach Mäusefleisch. Aber wenn man sie in ein Gespräch verwickelt, steigen die Überlebenschancen erheblich. Übrigens, mein Name ist Grauöhrchen.“ „Wahrscheinlich quatscht der die Eulen zu Tode“, dachte der Zwerg. Aber er sagte: „Freut mich, ich heiße Puh.“ Grauöhrchen verstand das als Aufforderung für ein Gespräch unter Männern. Er redete sich alles von der Seele und Puh war ein geduldiger Zuhörer. Aber als es immer dunkler wurde, überfiel ihn die Angst, dass er auf dem Waldweg übernachten musste. Während ihm der Mäuserich seine Geschichte zum vierten Mal erzählte, schlug er vor: „Komm morgen in mein Zwergenhaus. Ich weiß schon, wie ich dir helfen kann.“ Nachdem der Wichtel Grauöhrchen den Weg beschrieben hatte, rannte er davon, ohne sich noch einmal nach dem verliebten Mäuserich umzuschauen. Puh hatte geflunkert, Denn eigentlich wusste er überhaupt nicht, wie er Grauöhrchen helfen konnte. Hoffentlich fiel ihm bis morgen noch etwas ein. Aber wie sonst hätte er den Redefluss dieses schwer verliebten Mäuserichs stoppen können, wenn nicht mit dieser kleinen Notlüge?

Als Puh seinen Garten erreichte, traf er auf den kleinen blauen Vogel Zwitschi und das Käuzchen Willy, die auf der Gartenbank mit Murmeln spielten. "Was hat dich so geschafft?“, wollte Zwitschi wissen, als er den schwer atmenden Wichtel entdeckte. „Ich glaube, da kommt ihr nie drauf. Aber ratet einfach mal drauf los“, sagte Puh. „Ratespiele sind doof“, maulte Willy, „entweder du sagst es uns, oder es interessiert uns eben nicht.“ „Gut, dann behalte ich es eben für mich.“ „Aber ich muss es unbedingt wissen!“, meldete sich Zwitschi zu Wort. „Dann versuch es und rate“, sagte Puh. „Gib mir einen Tipp“, forderte Zwitschi. Puh malte ein riesiges Herz in die Luft und warf ein paar Kusshände hinterher. „Ach so, Liebeszeug. Das ist nicht mein Gebiet“, sagte der kleine blaue Vogel enttäuscht. Sein gerade noch grenzenloses Interesse stürzte ungebremst dem Nullpunkt entgegen. „Wer ist verliebt?“, fragte Willy dagegen gespannt. Für Herzensangelegenheiten hatte das Käuzchen gleich zwei offene Ohren. „Der Mäuserich Grauöhrchen ist schwer verliebt in seine Mäusebraut Grauschwänzchen. Und Grauöhrchen möchte sie sogar heiraten. Aber er kann ihr keinen Antrag machen, weil er ständig stottert, wenn er es versucht. Und nun schenkt er mir sein vollstes Vertrauen und hofft, dass ich ihm helfen kann“, erwiderte Puh. "Und wie willst du ihm helfen?", zeigte sich der Kauz von seiner neugierigen Seite. "Das weiß ich noch nicht", sagte der Wichtel und klopfte sich gegen die Stirn. Vielleicht konnte er so die klugen Gedanken herauslocken. „Lahme Geschichte“, Zwitschis Interesse war inzwischen weit unter den Nullpunkt gesunken. Er gähnte gelangweilt. Doch dann hatte er plötzlich eine Idee: „Pass mal auf Puh, ich glaube ich hab die Lösung für dich. Willy könnte dir dieses leidige Problem noch heute Nacht vom Hals schaffen. Am besten, er frisst die beiden Brautleute. Und dann können sie in seinem Magen den Bund fürs Leben schließen. Ich meine, Willys Magensaft, der verbindet garantiert.“ „Zwitschi!“, Willy war entsetzt. Als ob er sprechende Mäuse fraß. „Ist ja nur ein Vorschlag. Die Angst vor Willys Endverdauung schweißt das junge Paar für sein restliches kurzes Leben bestimmt zusammen. Und während sie sich ein letztes Mal tief in die Augen sehen, schweben sie im Walzertakt auf Willys Darmwindungen zu. Dort können sie ihre Hochzeitsnacht ...“ „Zwitschi! Du hast irgendwie eine seltsame Vorstellung von Romantik“, murmelte Puh. „Hab' ich nicht“, protestierte Zwitschi, „ich versuche nur, dein Problem schnell zu lösen. Und sieh es mal so, wenn Willy die beiden erst mal vollständig verdaut hat, sind sie für immer und ewig in einem riesigen Hau...“ „Zwitschi!“, Willy verzog angewidert das Gesicht und Puh hielt sich entsetzt die Ohren zu. „Ihr habt keine Ahnung von den ganz großen Gefühlen“, der kleine blaue Vogel wandte sich missbilligend ab. „Ich hoffe, mir fällt was Besseres ein“, sagte der Zwerg und ging ins Haus.

Puh grübelte bis spät in die Nacht. So schwierig hatte er sich die Lösung des Problems nicht vorgestellt. Willy sah, dass im Zwergenhaus noch Licht brannte und leistete ihm Gesellschaft. „Du könntest Grauöhrchen doch einen Zaubertrank verabreichen“, schlug der Kauz vor. „Es gibt keinen Trank, der gegen die Aufregung hilft“, sagte Puh und ließ die Schultern hängen. „Schade, aber macht nix. Dann braust du eben einfach den Trank, den es eigentlich nicht gibt", meinte der Kauz. „Und wie stellst du dir das vor", fragte der Wichtel. „Das ist ganz simpel. Du weißt, dass du keinen Trank gegen die Aufregung zubereiten kannst und ich weiß es auch. Aber Grauöhrchen weiß es nicht. Der glaubt bestimmt, dass ein Zwerg riesige Zauberkräfte hat. Das dachte ich schließlich auch einmal, aber dann lernte ich dich kennen.“ Puh war beleidigt. Musste dieser Kauz schon wieder darauf anspielen, dass er ihm statt eines neuen Kopfkissens eine Schreibfeder gehext hatte? Aber Willys Vorschlag war ausgezeichnet. Also verschob der Zwerg das Schmollen auf ein andermal und mixte aus Wasser, Erdbeeren, Himbeeren und Lavendel einen Trank für den Mäusebräutigam. Er dekorierte die Trinkschale mit zwei Pfefferminzblättern und einem Zweig Rosmarin und stellte sie in den Kühlschrank.

Um die Mittagszeit des nächsten Tages fand sich Grauöhrchen im Zwergenhaus ein. „Ich habe versprochen dir zu helfen und hier hab ich die Lösung für dein Problem", sagte Puh feierlich. „Trink meinen Zwergentrank gegen die Aufregung und mache deiner Braut einen stotterfreien Antrag.“ Dabei wedelte er mit dem Zauberstab vor Grauöhrchen herum und murmelte ein paar unverständliche Worte. Der Mäuserich blickte bewundernd zu ihm auf. Das tat gut. Wie Puh sich vorkam. Und als Grauöhrchen beschwingt piepsend das Zwergenhaus verließ, sah er ihm noch lange nach. „Willy hat mir alles erzählt“, sagte Zwitschi, „du hast geschummelt.“ Der Zwerg legte den Finger auf die Lippen und Zwitschi meinte gönnerhaft: „Schon verstanden, ich werde schweigen. Die Hauptsache ist ja, dass es funktioniert. Schließlich will ich was von der Torte, die bei einer solchen Feierlichkeit auf keinen Fall fehlen darf."

Grauöhrchens Antrag war ein großer Erfolg. Nach einigen Tagen erklangen im Zauberwald die Hochzeitsglocken und all seine Bewohner waren zu dieser herrlichen Mäusehochzeit auf der Waldwiese eingeladen. Die Eule Agathe saß auf einem Baumstumpf und fragte das junge Paar: "Willst du Grauschwänzchen den Mäuserich Grauöhrchen zu deinem Ehemann nehmen, ihn lieben und achten, so antworte mit: Ja ich will." Grauschwänzchen ließ ein lautes und Deutliches "Ja, ich will." vernehmen. "Und nun frage ich dich Grauöhrchen, willst du das Mäusefräulein Grauschwänzchen zu deiner Ehefrau nehmen, sie lieben und achten. So antworte mit: Ja ich will." Betretenes Schweigen! Grauöhrchen sah hinüber zu seiner Braut. Sie trug einen weißen Schleier mit rosa Blüten und eine rote Schleife am Schwanz. Wie schön sie war. Und er hatte vergessen, Puh um etwas von seinem wunderbaren Zaubersaft für den schönsten Tag in seinem Leben zu bitten. Und jetzt erwarteten alle von ihm, dass er "ja, ich will" sagte. Aber diese Worte wollten nicht über seine Lippen. "Was macht der denn da?", flüsterte Paul Kauz aufgeregt. "Sag ja, ich will", zischte Willy leise. Grauschwänzchen nickte ihrem Mäusebräutigam aufmunternd zu und schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. Plötzlich löste sich der Knoten in seiner Zunge. "Jjja, ich wiwiwill", brachte Grauöhrchen stotternd, aber glücklich hervor. "Wollen wir es mal gelten lassen", lächelte Agathe gnädig, "ihr beide seid also jetzt Mann und Frau und dürft euch küssen." Unter tosendem Applaus küssten sich die beiden frisch Vermählten. "War das ein schöner Hochzeitskuss", seufzte die Taube Guri verträumt und sah dem Täuberich Guru tief in die Augen. "Wenn du meinst. Ich hoffe nur, dass mir die anderen Gäste noch was von der schönen Buttercremetorte übrig lassen." "Flegel", zischte die Taube wütend und wandte Guru ihre Rückenansicht zu. Doch der nahm keine Notiz davon und sicherte sich einen vorderen Platz in der Schlange vor dem Kuchenbuffet.

Am frühen Abend fand sich das Grillenorchester auf der Waldwiese ein und spielte für die jungen Eheleute Maus und ihre Gäste. Als das glückliche Paar den Eröffnungstanz tanzte, verdrückte sogar Zwitschi ein paar dicke Tränen, obwohl er wiederholt gesagt hatte, dass außer der Torte so gar nichts besonderes an Hochzeiten war. "Aha, du hast nichts für Hochzeiten übrig?", fragte Willy, der seinen Freund genau beobachtet hatte. „Ach das“, redete der sich raus. Die Tränen kommen von diesen blöden Zwiebelscheiben auf der Salatplatte.“