Hasenchaos

Die Sonne blinzelte in das Schlafzimmer der Hasenkinder und kitzelte ihre Nasen. Schnuffi, Langöhrchen und Spitznäschen streckten sich genüsslich und blinzelten zurück. Es war Samstag, in die Waldschule mussten sie heute nicht und so kuschelten sie sich noch einmal tief in ihre blau-weiß-gestreiften Kissen. Mit dem Aufstehen konnten sie sich ruhig noch etwas Zeit lassen. Je später, umso gedeckter würde der Frühstückstisch sein. Langöhrchen liebte diese stillen Minuten kurz nach dem Aufwachen. Er las ein wenig in seinem Waldkundebuch und bestaunte den Hochzeitsflug der Hummeln, Spitznäschen sah zur Decke und zählte die Spinnweben. Schnuffi drückte gerade seinen kleinen Plüschkäfer fest an sich, bis dieser leise zu summen begann, als ein lautstarkes Getöse auf dem Flur die morgendliche Stille jäh vertrieb. "Dann gehen wir eben zu Wuschel, wenn Madam unbedingt darauf besteht", hörten sie Vater Hase schimpfen, "ich hab' ja ohnebhin nichts Besseres zu tun. Wer würde seiner Frau nicht gern den sechsunddreißigsten Hut kaufen." Bei diesen Worten war er ins Kinderzimmer gestürmt. Er ließ sich zwischen die Holzbausteine auf den Boden sinken und begann sich zu beklagen: "Mit eurer Mutter bin ich schlimm angekommen. Jetzt verlangt sie doch tatsächlich, dass wir unverzüglich zu Wuschel müssen, damit der ihr einen neuen Hut anfertigt, ihr wisst schon, für die Hochzeit eurer Tante Miranda mit Baron zu Seidenfell." Die Hasenkinder zogen sich ihre Bettdecken über den Kopf. Das dämpfte das Selbstgespräch ihres Vaters etwas, aber sie entkamen ihm nicht: "Wisst ihr, sie hat fünfunddreißig Hüte, die Gute. Aber keiner ist ihr recht. Der hellblaue Seidenhut lässt seit heute Morgen ihr Gesicht zu dick erscheinen. Der dunkelgrüne Basthut überschneidet sich plötzlich mit der braunen Farbe ihrer Augen. Wieso, und das frage ich euch liebe Kinder, merkt man so etwas nicht, wenn man sich für dieses dunkelgrün entscheidet, sondern erst Wochen später, wenn man den Hut aufsetzen will? Der rote Filzhut ist auf einmal zu klein geworden. Kann mir mal einer von euch erklären, wie man ausgerechnet am Kopf zunehmen kann." Die Hasenkinder wollten ihm nichts erklären. Sie befürchteten, der Vortrag ihres Vaters würde auch ohne ihre Erklärungen schon kein Ende finden. Sie mussten weg hier. Vorsichtig traten sie den Rückzug an. Hinter Vater Hases Rücken schlüpften sie zur Tür hinaus. "Geschafft", keuchte Schnuffi, "und jetzt ab ins Badezimmer." Mutter Hase sah die drei an sich vorbeifliegen. Normalerweise musste sie ihre Kinder immer fünfmal zum Zähneputzen ermahnen. Für so viel freiwilligen Einsatz musste es einen Grund geben. Leise näherte sich die Hasenmutter der offen stehenden Kinderzimmertür. "Der lilafarbene Strohhut hat Großmutter nicht gefallen, er sei aus der Mode, sagte sie bei unserem Besuch am letzten Sonntag. Und eure liebe Mutter sagt das nun auch. Den sonnengelben Basthut hat sie erst zu Großvaters Geburtstag getragen und der lachsfarbene passt nicht zu ihrem pinken Seidentuch. Ja und das beige Seidentuch passt zwar zum lachsfarbenen Hut, trägt man aber angeblich nicht auf Hochzeiten. Das ist alles so schrecklich kompliziert. Ihr glaubt gar nicht, wie verzweifelt ich bin. Der marinefarbene Filzhut mit dem weißen Stern ist dem Anlass nicht angemessen, den trägt man nur zu Tanzveranstaltungen. Der braune kleine Samthut ..." "Deine Kinder hören dir schon längst nicht mehr zu", sagte Mutter Hase sanft, "vielleicht solltest du ihnen öfter mal was erzählen. So schnell wie heute hab' ich sie noch nie zu den Zahnbürsten greifen sehen. Ich bin stolz auf dich, mein Liebling. Wenn du wüsstest, wie oft ich sie sonst zum Zähneputzen auffordern muss." Vater Hase fuhr hoch und sprang auf seine Pfoten. Wie konnte sie sich nur so unbemerkt an ihn herangeschlichen haben? Er musste in Zukunft unbedingt vorsichtiger sein, wenn er sich seinen Gedanken hingab. "Also gut mein Schatz, gehen wir, wenn es sich nicht vermeiden lässt", sagte er fast tonlos. "Es freut mich zu sehen, wie es dich freut mir eine Freude zu machen", strahlte die Hasenmutter. "Und mich erst", knurrte der Hasenvater und trat gegen die Bausteine. "Wir sind dann weg", riefen die beiden ihren Kindern zu und machten sich mit einem saftigen Nusskuchen auf den Weg zu Wuschel. Schließlich wollten sie den kleinen Kobold für seine Mühen angemessen bezahlen. Und Wuschel liebte Nusskuchen, vor allem, wenn er mit einer dicken Schicht Schokolade überzogen war, wie der von Mutter Hase.

"Ich fühle mich richtig unwohl", sagte Schnuffi, "saubere Zähne ohne Ermahnung sind nicht dasselbe wie saubere Zähne nach einem ordentlichen Anraunzer." Seine Brüder nickten. Als sie die Küche betraten, war der Tisch ungedeckt. Da blieb nur noch die Selbstversorgung. "Wollen doch mal sehen, was sie uns zum Frühstück dagelassen haben", sagte Spitznäschen und riss den Kühlschrank auf, "Bananen, Möhren, Äpfel, Orangen, Gurken, Tomaten! Na toll ... Und wovon soll man hier satt werden?" "Da hinten im Schrank ist noch hartes Brot, das soll doch gut für gesunde Hasenzähne sein", meinte Langöhrchen. "Und wozu haben wir dann unsere Zahnbürsten?", fragte Schnuffi. "Hast recht", stimmte ihm Langöhrchen zu, "also kein Brot. Aber Obst und Gemüse zum Frühstück? Für mich jedenfalls nicht." Und darin waren sich die Hasenkinder einig. "Wir könnten süße Pfannkuchen backen", rief Spitznäschen aufgeregt, "ich hab' Eier und Butter gefunden. Und hier ist auch Milch." "Einverstanden", jubelten seine Brüder. Und dann ging es los. Die Eier wurden aufgeschlagen, Milch und Butter darunter gerührt. Schnuffi schnappte sich die Zuckertüte und krümelte Zucker in die große Schüssel. Langöhrchen holte das Mehl. Der Teig wurde fest und ließ sich nicht mehr rühren. Spitznäschen machte ihn mit einer großen Portion Milch geschmeidig. "Wo habt ihr eigentlich das Salz?", fragte Langöhrchen. "Kommt sofort", verkündete Schnuffi und riss es aus dem Schrank. Seinem Schwung konnten das Puderzuckerpäckchen und die Kakaotüte nichts mehr entgegensetzen. Der Boden überzog sich mit einer weiß-braunen Staubschicht. Schnuffi sah seine Brüder verdattert an. Wie konnte das bloß passiert sein. "Lass es einfach liegen", sagte Spitznäschen, "darum kümmern wir uns nach dem Frühstück." Dagegen hatte Schnuffi nichts einzuwenden.

Das Fett brutzelte in der Pfanne und schon nach wenigen Minuten waren die ersten drei Pfannkuchen goldbraun ausgebacken. Voller Vorfreude leckten sich die drei kleinen Hasen über ihre Schnäuzchen und setzten sich an den Tisch. "Mmmmhhh, ist das köstlich", sagte Schnuffi. "Finde ich auch", schmatzte Langöhrchen. "Und ich erst", grunzte Spitznäschen zufrieden und sah traurig auf seinen leeren Teller. "Brüder, irgendetwas stimmt hier nicht", stellte Schnuffi fest und blickte zum Herd, wo die ersten kleinen Rauchwölkchen über der Pfanne aufstiegen. "Ja, ich sehe es auch, hier verbrennt gerade was. Wer zum Hasenohr hat da einen vierten Pfannkuchen vorbereitet?", fragte Langöhrchen. "Das war ich, ich wollte, dass der Nachschub schneller fertig ist", gab Spitznäschen zu. "Natürlich! Das ist doch wieder einmal typisch Spitznäschen! Und wieso hast du den Nachschub dann einfach vergessen?" fragte Schnuffi. "Weil der Vorschub so köstlich war, dass ich ins Träumen geriet", antwortete Spitznäschen und stellte den Herd aus. Langöhrchen riss das Küchenfenster auf. Er hatte längst vergessen, dass ein großer Haufen Puderzucker-Kakao-Mischung nur darauf wartete, auf leisen Lüftchen durch die Küche getragen zu werden. Der Rauch zog in den Zauberwald hinaus.

In dieser Sekunde flog Zwitschi am Hasenbau vorbei. Er bemerkte den Gestank nach verbranntem Irgendwas. Dank Puh hatte der Vogel reichlich Erfahrung mit verqualmten Küchen und Verpuffungen jeder Art gesammelt, sogar weit mehr als ihm lieb war. Er beschloss den Hasen zu helfen. Da stand ja ein Fenster offen. Zwitschi flog mitten in die Küche und direkt hinein ins Chaos. Vor einem Berg aus Puderzucker und Kakao kam er zum stehen. Der Stopp kam so unerwartet, dass der kleine Vogel kopfüber hineinfiel. Der braun-weiße Staub hatte ihn vollkommen überzogen, als er sich wieder aufrappelte und "Feuer! Feuer!" schrie. Da erfasste ein Windstoß den Pulverhaufen und wehte ihn quer durch die ganze Küche. Der kleine blaue Vogel hatte die Situation immer noch nicht erfasst. Ängstlich blickte er sich um. Was war das? Wo war er hier hineingeraten? Da hatte er gedacht, dass seine Nerven durch den Aufenthalt im Zwergenhaus inzwischen gestählt waren, aber brauner kalter Ascheregen? Das war zu viel. "Hilfe, so helft doch, es brennt, die kalte Asche regnet auf mich nieder", schrie er verzweifelt. "Beruhige dich, das ist nur Kakao. Im Übrigen brennt es auch nicht, wir haben nur einen einzigen Pfannkuchen verbrennen lassen", sagte Schnuffi und schwang die Pfanne herum. Leider übersah der kleine Hasenkoch die Milchpackung, die noch auf dem Tisch stand. Diese fiel um und leerte sich über Zwitschi aus. "Pfui, auch das noch!", krähte der Vogel, "ich werde begossen!" Das Pulver war durch die Milch zu einer klebrigen Kakaomasse geworden, die sich in Zwitschis Federn einnistete. Auf dem Boden hatte sich mittlerweile auch ein größerer Schlammsee gebildet und mittendrin hockte der kleine Vogel und konnte sich kaum noch rühren. Zwitschi gab sich alle Mühe, seine kleinen Füßchen herauszuziehen, konnte sich aber nicht befreien. "Warte, ich helfe dir", sagte Spitznäschen und zog am kleinen blauen Vogel. Dabei Stieß er mit dem Hintern gegen den Küchenschrank. Die Erschütterung brachte ein Ei ins rollen. Spitznäschen wollte es aufhalten. Doch das Ei hatte bereits Kurs auf die restlichen blauen Federn des Vogels genommen. Es rollte und rollte, bis es endlich fiel - Zwitschi genau auf den Kopf. "Danke, dass ihr mich so vortrefflich garniert habt", beschwerte er sich und sah die Hasenkinder vorwurfsvoll an. Das Eigelb tropfte ihn auf den Schnabel. Wenigstens kam er jetzt vom Boden hoch. Er setzte sich auf den Küchentisch und verschaffte sich einen Überblick über die Lage.

Kakaomatsch auf dem Fußboden, durchzogen von Spuren aus Ei. Braunes Pulver an den Wänden und Schranktüren, geschwärzte Tapete hinter dem Herd. "Na dann, viel Spaß beim Aufräumen, ich bin erst mal weg", sprudelte er hervor und sauste zum Küchenfenster hinaus. Er musste dringend in den Zwergengarten und dort am Springbrunnen sein ramponiertes Gefieder pflegen. Dann konnte er zum Hasenbau zurückkehren und ein wenig beim Aufräumen helfen. Er fürchtete, dass die Hasenkinder jede Feder gebrauchen konnten und jede bedeutete leider auch seine. Zwitschi kam nur schwerlich voran. Der anfängliche Schwung war müdem Flügelschlagen gewichen. Kakao, Milch und Ei machten ihm das Fortkommen zur Qual.

Endlich hatte er den Springbrunnen im Zwergengarten erreicht. Als er sich auf den Rand niederließ, kehrte Puh gerade von einem kleinen Waldlauf zurück. Mit einem Aufschrei enterte der Wichtel das Zwergenhaus. Was hatte dieser Vogel in seiner zweistündigen Abwesenheit nur wieder angestellt. Verdutzt besah er seine Küche. Sauber, erstaunlich sauber. Erleichtert griff er nach einem Badeschwamm und ging hinaus, um seinen blau gefiederten Mitbewohner bei der Federnpflege zu helfen. "Wo hast du nur diesen Schokoanstrich her?", erkundigte sich Puh. "Hasenbau", gab Zwitschi wortkarg zurück. "Oh nein, ich hätte es mir denken können. Wuschel hatte nämlich keine Zeit, er sagte, die Haseneltern seien bei ihm und er müsse für Mutter Hase einen neuen Hut anfertigen. Wieso lassen die beiden eigentlich ihre Kinder immer wieder allein zu Hause?", fragte der Zwerg. "Wahrscheinlich renovieren sie so schrecklich gern", mutmaßte Zwitschi. "Sei's drum, ich denke wir sollten ihnen helfen, das Chaos zu beseitigen", schlug der Zwerg vor. "Einverstanden", nickte der Vogel.

"Bist du jetzt endlich zufrieden?", fragte Vater Hase seine Frau. "Nicht ganz, das rosa könnte noch ein klitzekleines bisschen heller sein", sagte sie und betrachtete sich zweifelnd in dem großen Spiegel. Immer wieder fand sie etwas auszusetzen. "Jetzt reicht es, wenn du den Hut nicht sofort nimmst, kannst du deine Schwester bald zu unserer Scheidung einladen", drohte Vater Hase. "Also schön, ich nehme ihn." "Wurde auch langsam Zeit. Bedenke, wir haben unseren Nachwuchs allein zurückgelassen", erinnerte er sie. "Das hatte ich ja völlig vergessen", rief Mutter Hase plötzlich aufgeregt, "Wuschel, der Hut ist wunderbar, ich nehme ihn." Der kleine Kobold war sichtlich erleichtert. Bei allen Zipfelmützen, in Anbetracht dieser drei anstrengenden Stunden Hut-auf, Hut-ab, war so ein Nusskuchen eine äußerst dürftige Bezahlung. Hungrig machte er sich über das erste saftige Stück her. Köstlich! Die Hutanprobe war vielleicht doch nicht so schlimm gewesen, wie er zunächst gedacht hatte und der Nusskuchen eine angemessene Entschädigung. Von bösen Vorahnungen geplagt, hetzten die Haseneltern durch den Zauberwald. Doch das Chaos, das sie tatsächlich vorfanden, übertraf alles, was sie geahnt hatten.

Fünf Minuten nach den Haseneltern erreichten Zwitschi und Puh ebenfalls den Hasenbau. Drinnen wurde heftig gestritten. Wortfetzen wie, "Du mit deinen blöden Hüten!", "Ich konnte ja nicht wissen, dass deine Kinder so ein Chaos verursachen!", "Immer, wenn sie etwas angestellt haben, sind es plötzlich meine!", "Ich ziehe zu meiner Mutter!", "Gut, aber wenn du schon gehst, nimm deine dusslige Hutsammlung mit!" flogen ihnen entgegen. Durch die Hintertür sahen sie drei kleine Gestalten mit langen Ohren in den Wald huschen. "Wenn die sich verdrücken, verdrücken wir uns lieber auch. Am besten, wir lassen die Haseneltern erst mal austoben. Wir können ihnen ja morgen beim Putzen helfen", meinte Puh und Zwitschi nickte zustimmend.